Japanische Philosophie versucht nicht, durch radikale Kritik an jeder Tradition ein allein auf kritische Vernunft aufgebautes System zu schaffen, wie es in Europa im Gefolge von Descartes viele Denker versucht haben. Vielmehr baut sie bei aller Weiterentwicklung auf die alten Traditionen auf. Dies ist übrigens ein Charakteristikum, das asiatischen Philosophien gemeinsam ist.
Darüber hinaus gehende Gemeinsamkeiten teilt japanisches Denken noch mit China. Denn es hat von dort nicht nur die Bilderschrift (die kanji) und damit die Begrifflichkeit, sondern auch Buddhismus und Konfuzianismus sowie dessen Weiterentwicklung zum Neokonfuzianismus übernommen.
All diesen Denktraditionen ist gemeinsam, dass sie nicht nach einer Ursache hinter der Welt (nach Transzendenz) fragen, sondern die Realität als solche hinnehmen und aus dem gemeinsamen Vorverständnis zu erklären suchen. Deshalb geht es hier nicht um logische Beweise, die Allgemeingültigkeit, jederzeit und überall, beanspruchen, sondern um das Aufdecken von Ähnlichkeiten, Beziehungen, Analogien, die die Welt verständlicher machen sollen. Dafür wird häufig mit Parallelen, Metaphern und Bildern gearbeitet.
Dieses Denken, so fremd es uns zunächst erscheinen mag, fällt nicht völlig aus abendländischer Denktradition heraus. Denn Aristoteles kannte neben der axiomatischen Philosophie, die allgemeine Wahrheiten herauszufinden sucht, auch die topische, die das Glaubhafte und Plausible herauszuarbeiten versucht. Letztere baut auf dem gemeinsamen Vorverständnis (sensus communis) auf und war die Basis der antiken Rhetorik. Noch im 18. Jahrhundert hat der italienische Geschichtsphilosoph Vico diese Tradition zu beleben versucht.
Diese Art des Denkens erlaubt es ganz anders als die aufklärerische Vernunftkritik, verschiedene Denktraditionen miteinander zu verbinden. So wurden die kami (Götter) des Schintoismus nicht nur mit den verschiedenen Buddhas, sondern auch mit den Grundprinzipien des Konfuzianismus identifiziert. (Uns ist es eine befremdliche Vorstellung, Tugenden als Berge in der Landschaft stehen zu sehen. Und doch ist uns die Sonne als lebensspendendes Prinzip geläufig.) Dabei hatte schon der Konfuzianismus seine streng hierarchische Verhaltenslehre mit Grundvorstellungen des Taoismus anzureichern gewusst, obwohl dieser Anarchie und Nicht-Handeln als höchste Ziele anstrebte.
Seit die modernen Naturwissenschaften die Vorstellung von der Allgemeingültigkeit von Ursache und Wirkung aufgegeben haben und Postmoderne Philosophie weder allgemeinverbindliche Werte noch allgemeingültige Regeln mehr kennt, ist die aufklärerische Denktradition freilich auch in der westlichen Hemisphäre in die Defensive geraten.
Wie wenig Allgemeingültigkeit philosophische Wertungen in der westlichen Zivilisation noch haben, zeigt sich in der aktuellen ethischen Diskussion. Immer weniger ist es möglich, von gemeinsamen Prinzipien aus stimmige Regeln zu finden. Immer mehr zeigt sich, dass ein unterschiedliches Vorverständnis gemeinsame Wahrheiten ausschließt und nur die Hoffnung auf Überzeugungsarbeit bleibt, damit das, was uns unverzichtbar erscheint, nicht in einem allgemeinen Werterelativismus untergeht.
12.2.07
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