Ein jüdisches Emigrantenehepaar hat eine verwandte jüdische Flüchtlingsfamilie zu Gast. Es war wohl in den Niederlanden. Die Familie war seit vielen Wochen zu Gast.
Als die Mutter der Flüchtlingsfamilie mal wieder etwas für ihre Kinder aus ihren Koffern heraussucht, fällt es dem Gastgeber auf: ein Leben aus Koffern.
Sie wurden alle Emigranten genannt, die Juden, die dem Völkermord der Nazis durch Auswanderung entgingen. Eine Nichte Dietrich Bonhoeffers hat sich – zu Recht – in einem Gedicht über die unpassende Bezeichnung beklagt. Es war ja keine freiwillige Emigration.
Dennoch unterscheide ich hier einmal zwischen denen, die vor 1938 auswanderten und deshalb Vorbereitungen treffen und zum Teil auch einen bescheidenen Teil ihres Besitzes retten konnten, und denen, die der stärker werdenden Repression entkommen wollten und schon ahnten, dass es eine Sache von Leben und Tod war. Natürlich waren es fließende Übergänge. Viele sahen sich schon vor 1938 in Todesgefahr und auch nach 1938 gab es noch manche, die – begrenzte - Vorbereitungen treffen und ein wenig mehr, als sie auf dem Leibe trugen, retten konnten.
Entscheidend ist hier: Sesshaft oder wohnungslos.
Dabei gibt es auch freiwillige Wohnungslosigkeit: etwa die Diva, die ständig auf Tournee mit 90 Koffern reist, oder den Milliardär, der ständig wechselnde Suiten in den Nobelhotels der Weltstädte bezieht. Ein ganz anderes, durch Dienstboten bequem gemachtes Leben aus Koffern.
Meine Situation im Augenblick: Das Parkett wird abgeschliffen und versiegelt, deshalb haben wir Koffer und Tasche gepackt und sind in den Keller gezogen. Nur für ein paar Tage, vorbereitet, aber doch ohne die Annehmlichkeiten eines Haushalts, der durch das Parkett von uns getrennt ist: Leben aus Koffern.
Wir haben im Keller, sonst Bügelstube, Abstellraum, gelegentlich Gästezimmer, einen kleinen Haushalt eingerichtet, ein Klappbett aufgestellt, bauen regelmäßig morgens ein Wohnzimmer, abends ein Schlafzimmer auf. Da kommen Assoziationen an Anne Frank auf. Doch dabei eine Welt von Unterschieden: Unbedroht, frei zu gehen, wohin wir wollen, frei zu husten, singen und lärmen, wie es die – immer lässiger gehandhabten - Mittags- und Nachtruhezeiten erlauben.
Und dann der weitere entscheidende Unterschied: Die untergetauchte Familie hängt am Radio, fiebert bei allen Frontmeldungen mit: Wann kommt der Tag der Befreiung? Der heutige Leser weiß: Das Ende der – halb freiwilligen - Gefangenschaft im Untergrund ist der Weg ins KZ.
Wir "Kellerkinder" dagegen fragen uns: Bis wohin wird das W-Lan reichen? Wird die wöchentliche skype-Konferenz ungestört verlaufen? Und stellen befriedigt fest: Der Internetzugang ist zwar etwas umständlich, er verläuft buchstäblich über die Kellertreppe, doch auf den obersten Stufen lässt es sich dann recherchieren und online bestellen und kaufen und Bankgeschäfte abwickeln fast wie gewohnt.
Jetzt sitze ich im Freien, höre die Tauben gurren.
Nein, da gibt es keine wirklichchen Ähnlichkeiten.
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