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6.10.20

Aus der glücklichen Zeit vor Hartz IV

 Ein Brief aus dem Jahre 1979, der glücklichen Zeit vor Hartz IV:

An das Zweite Deutsche Fernsehen [...]

Betreff: Bescheinigung über Nebeneinkommen

Bez. Vertrags-Nr.: 09522 vom 22.12.78 [...]

Sie waren so freundlich, mir im Januar dieses Jahres 200 DM als Honorar für den oben angegebenen Vertrag zu überweisen. Da ich nun zur Zeit arbeitslos bin und folglich verpflichtet, dem Arbeitsamt jegliches eigene Einkommen anzugeben, wenn ich nicht fürchterlicher Strafen gewärtig sein will, habe ich den Erhalt dieser 200 DM pflichtschuldig dem Arbeitsamt gemeldet. Damit nicht zufrieden, fordert dieses aber noch eine Bescheinigung über Nebeneinkommen von mir, die auf einem vorgeschriebenen Formular des Arbeitsamtes zu erfolgen hat. Leider hatte ich aber die Vertragskopie, die sie mir freundlicherweise überlassen haben, verlegt und konnte also zunächst dem Verlangen des Arbeitsamtes nicht nachkommen. Als ich sie aber endlich fand, erschreckte mich der Satz "Bitte diesen Vertrag aufbewahren, da wir keine Verdienstbescheinigungen ausstellen" außerordentlich. Da das Arbeitsamt trotzdem auf der Verdienstbescheinigung besteht, fürchtete ich, vielleicht einen falschen Vertrag erwischt zu haben: Was Sie da über verschiedene Vertragsformen und Steuersorten zu den Verträgen angegeben haben, hatte ich nämlich keineswegs verstanden. Und das Formular vom Arbeitsamt war auch nicht gerade sehr verheißungsvoll. Zum Beispiel wollen die Leute da die Nettovergütung erfahren "nach Abzug der Steuern, der Sozialversicherungsbeiträge und der Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit". Davon habe ich natürlich nichts bezahlt und auf dem Vertrag steht so etwas auch nicht drauf. Ob der Vertrag deshalb falsch ist? – Über dieser meiner Ratlosigkeit verging jedenfalls die Zeit.
Nun hat das Arbeitsamt zugeschlagen und mir das Geld entzogen, rückwirkend, wegen Erschwerung der "Ermittlungen über das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen". Allerdings ist es so gnädig, prüfen zu wollen, ob es "die Leistung nachträglich ganz oder teilweise erbringen kann", wenn ich meine "Mitwirkung" nachhole und die Nebenverdienstbescheinigung jetzt einreiche.
Da nun die Aussicht, monatelang ohne jeden Pfennig Geld dazu stehen und keine Miete bezahlen zu können, alles andere als erfreulich ist, bitte ich Sie, möglichst rasch diese ominöse Nebenverdienstbescheinigung auszufüllen und mir zuzuschicken, damit ich das Arbeitsamt zufrieden stellen kann. – Hoffentlich ist der Vertrag doch richtig!
Schade! Eigentlich hatte ich mich ja gefreut, als ich das Geld erhielt. Aber inzwischen ist mir die Freude gründlich vergangen. – Als Arbeitsloser lebt man eben gefährlich!

Man kann sich denken, dass der Brief nicht von mit stammt. Ich war zu diesem Zeitpunkt verbeamtet auf Lebenszeit. Beachtlich scheint er mir, weil die schreibende Person aus Furcht vor der Institution sich nicht traute, dem Arbeitsamt mitzuteilen, weshalb sie die Anforderungen nicht ganz, sondern nur halb erfüllen könne. Dabei handelte es sich um eine Person, die - wie aus ihren Formulierungen hervorgeht - durchaus sprachmächtig war. 

Wie sehr wäre sie an den Anforderungen seit der erfolgreichen Agenda 2010 gescheitert?

Welche Schwierigkeiten hätte sie, rechtswirksam mitzuteilen, dass sie nicht zur Organspende bereit ist?

Wie viel mehr Schwierigkeiten hätte eine Person, die weniger sprachmächtig ist?



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