E, den 13.1.1940
Lieber Vater!
Die Ferientage waren für mich eine rechte Briefschreibezeit. Hauptsächlich nach Blankenburg musste ich mehrfach ausführlich schreiben. Es geht Vater nach dem letzten Nachrichten besser, er ist seit kurz vor Weihnachten zu Hause und ist anscheinend ganz gut vorangekommen in der Zeit. Aber er war ja unglaublich schwach (92 Pfund!), und das ist nicht so leicht wieder eingeholt. Mutter hat nun mit der Pflege, dem Haushalt, der Erschwerung durch Kälte und umständliches Einkaufen, sehr viel zu tun und ist anscheinend sehr herunter. Da habe ich ein paarmal sehr ausführlich geschrieben und von den Kindern erzählt. Die Großeltern haben sie nun diesen Herbst nicht sehen können, wie es geplant war, da sollten sie wenigstens von ihnen hören. Meine Schwester wohnt jetzt für den Winter mit bei den Eltern in Blankenburg und fährt jeden Tag nach Rudolstadt hinüber. Sie hat sehr viel und sehr anstrengende Arbeit, mit [tiefer?] nicht zu wenig Schwierigkeiten und Ärger (Zurückgeführte und Wohnunleserlich unterzubringen geht sicher nicht ohne kleine Reibereien), kann also Mutter gar nicht helfen. Aber wir sind so froh, dass es Vater besser geht! Er ist nun doch Weihnachten zu Hause gewesen, und die Eltern und m. Verwandte haben doch ein Weihnachtsfest richtig gelebt, wenn auch in aller Stille.
Still ging es bei uns nicht zu, das kannst du dir denken! Wir haben uns so über diese Festtage mit den Kindern gefreut! Wie unverdient gut geht es uns in einer solchen Zeit!
Es kommt eben alles darauf an, dass man dieses Gute nicht als selbstverständlich, sondern als Geschenk nimmt und dabei nie die Bereitschaft zum Einsatz und zum Opfer verliert. – Der Gabentisch zu Weihnachten und zu meinen Geburtstage war so reich belegt, wie lange nicht. Dass man praktische Dinge wie Wäsche und Kleidung nicht schenken kann, hat eben auch sein Gutes. Bei mir ist auf diese Weise der Bücherbestand wieder vermehrt worden. Für deine doppelte Beisteuer dazu, zu Weihnachten und zum Geburtstage, hab herzlichen Dank! Du hast mir damit eine große Freude gemacht! Du weißt ja selbst, wie einem gerade ein wissenschaftliches Buch aus dem eigenen Arbeitsgebiet erfreuen und fesseln kann. So geht es mir mit der [schwer leserlich] römischen Geschichte, in der ich jetzt jede freie Stunde fast lese. Da ich auch von meinen Eltern Geld bekam, zum Kaufen unleserlich, konnte ich gestern noch einmal zum Buchhändler gehen und ein paar kleinere Sachen, die mir sehr fehlten, bestellen.
Wir freuen uns, dass ihr Geschwister diese Zeit des Zusammenseins im deutschen Danzig, sich so schön ausnutzt. Es muss euch doch ganz eigenartig sein, nach so langer Zeit wieder alle zusammen zu sein, und noch zu einem solchen Zeitpunkt. Grüße mir bitte alle recht schön und sage auch von mir noch herzlichen Dank für die Weihnachtskarten, den Lene im Namen der Familie wohl schon ausgesprochen hat. Dass Luise nicht bei euch sein konnte, war sehr schade. Wir haben es erst sehr spät und zwar durch eine Bemerkung von Ilse E. erfahren. Aber nun ist sie anscheinend über den Berg und wird sich wohl bei den Streichen und der Lebendigkeit des Günterleins [geboren 1937] über die verdorbenen Weihnachtsferien beruhigen. Sage bitte auch H. einen herzlichen Gruß und Dank für deine Neujahrswünsche. Wir wissen jedes Wort, das er schreibt, dem Werte nach einzuschätzen und sind deshalb für seine Grüße sehr dankbar. Aber ich weiß nicht, ob ich heute und morgen (nur das Wochenende steht zur Verfügung) dazu komme, noch an ihn zu schreiben.
Wenn du nach deiner Rückkehr aus Danzig wieder einmal rüberkommst, uns zu besuchen, wirst du staunen. Über deine Enkel, vor allem Elisabeth, die sich sehr herausmacht, wenn auch ihre Sprache in einem [unleserlich] primitiven Stadium steckt. Aber man merkt, wie sie vorankommt. Nur mich wundert es immer wieder, wie sie mit einem unglaublich kleinen – nicht Wort-, sondern Silbenschatz, denn sie verwendet fast nur Silben, sich verständlich macht und ganze Sätze bildet. So heißt: "Woff mich mich snell!" was sie mir gestern etwa zehnmal geboten hat: "Das kleine Mäuschen läuft nicht mehr, bitte, lieber Vater, ziehe es wieder auf."
Aber das Kinderthema will ich näher nicht noch anschneiden, sonst komme ich heute nicht mehr ins Bett; denn es ist ja unerschöpflich.
Noch einmal: hab recht herzlichen Dank, grüße alle Danziger, nutze die Zeit in Danzig noch recht aus! Wir alle grüßen dich herzlich!
Dein J.
L.: J. steigt in die römische Geschichte, da will ich schnell noch in der Kindergeschichte fortfahren. "O Baum ling ling = am Weihnachtsbaum waren Glöckchen. "O Baum ling ling nicht Buch" = Aber an dem Weihnachtsbaum im Buch sind keine Glöckchen. "Hotte, hotte doch lingl ing" = Die Schlittenpferde haben auch Glöckchen. "Atta nich poh, poh, Po weh, Po eijich" =, Mutter, du musst mich nicht hauen, das tut meinem Po weh, du musst meinen Po wieder streicheln, das tut ihm gut. "Ich apo, nich dei dei". = Ich will jetzt aufstehen, nicht mehr schlafen. "Ich mamam, nich hop hop" = Ich will Suppe essen, keine klein geschnittenen Stückchen Brot. "Ich doch hoddewä" = Ich will auch auf dem Stühlchen da oben sitzen und die Peitsche in der Hand haben und Kutscher spielen und hochderweg rufen. "Itti agon poh poh"! = Helmut hat mich auf meinen Kopf gehauen (Haare). " tö tö wull" = Stell das Töpfchen aufs Fell, da will ich einen Bach machen. "Ich doch ling ling bach, wuch nich, wuch po" = Ich habe einen Bach gemacht, aber keine Wurst, die ist noch im Po. So geht es den ganzen Tag. Wann kommst du wieder zurück? In der Wünschelrute habe ich noch nichts gelesen, die Kinder brauchen mich zu viel und gehen ja auch vor. Mir geht es ganz gut, ich darf ja dankbar sein! Deine L.
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