Ein Zeitungsartikel mit drei parodistischen Interpretationen zu Morgensterngedichten (Die ZEIT13.9.1985) erinnerte mich an den Internationalen Germanistenkongress, der am Ende von Albrechts Schönes Präsidentschaft (1980-85) der Internationalen Vereinigung für Germanische Sprach- und Literaturwissenschaft stattfand. Das war Anlass, in Schönes Erinnerungen von 2020 hineinzusehen.
Der jetzt 99-jährige Germanist ist, erst nachdem meine Schwestern und ich die Universität Göttingen verlassen haben, zu seinem internationalen Ruf als "Repräsentant der Nachkriegsgermanistik" (der zu Schönes Anfängen zumindest in der Bundesrepublik noch Benno von Wiese hatte) aufgestiegen. Die jüngere meiner beiden Schwestern hat ihn noch als höchst jugendlich wirkenden Ordinarius als Bibliotheksaufsicht des Seminars kennengelernt und beinahe aufgehalten, weil er, ohne einen Studentenausweis vorzuweisen, einfach in die Seminarbibliothek ging. Wir alle drei waren von ihm fasziniert, und weil ich meine Begeisterung über seine Erinnerungen nicht mehr mit meinen Schwestern teilen kann, will ich wenigstens der kleinen Leserschaft dieses Blogs mitteilen, wie sehr mich die Erinnerung an seine hervorragenden Vorlesungen, seine stets sehr präzise, bühnenreife Artikulation und eindrucksvolle Persönlichkeit wieder in Bann gezogen hat.
Natürlich sind es auch die Erinnerungen an unsere Göttinger Zeit und die kurzen Erwähnungen einiger seiner Kollegen, die ich damals kennengelernt habe. So das einflussreiche Dreigestirn der Historiker Alfred Heuß*, Percy E. Schramm* und Hermann Heimpel* (S. 204-207)
* Dieser höchst selbstbewusste Hanseat wurde bereits 1958 wie Schöne 1990 in den Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste aufgenommen. Ich erinnere mich, wie er - als er einmal eilig den Vorlesungssaal verlassen wollte und nicht die Geduld hatte, sich durch die Menge der Hinausgehenden hindurch zu schlängeln, über die Tische der Bankreihen hinweg hoch über uns dem Ausgang zueilte.
Ein andermal sein Bericht, dass man früher, wenn man in Washington war, wie es sein Vater oder Großvater getan hatte, einfach mal zum ersten Stock des Weißen Hauses hinaufgehen und mit dem Präsidenten sprechen konnte. Vergleichbar mit der Raumsituation Konrad Adenauers in Bonn, wo sein Arbeitsraum ähnlich klein und so wenig repräsentativ wie der eines Schuldirektors war. Alles andere als das, was den Krupps nach dem Bau der Villa Hügel in Essen (Einzug am 10.1.1873) zur Verfügung stand.
* Bei seinen anschaulichen, sehr klaren Vorlesungen konnte man am besten mitschreiben. Sie waren auch immer wieder einmal mit witzigen Bemerkungen geschmückt. Etwa über den Konflikt zwischen Rom und Karthago, als sich für Rom die Gelegenheit für einen Kriegsgrund ergab: "Die einen sagten, 'Das ist ein As', die anderen, 'Das ist der schwarze Peter'.
* Er sagte über seien frühen Vorlesungsbeginn um 8:00 Uhr, es sei so ein schönes Gefühl, wenn man danach im Café sitze und sich sagen könne, jetzt sei schon ein wichtiger Teil der Arbeit des Tages getan. Über die Übersetzung der Goldenen Bulle Friedrichs II. durch seinen Kollegen Walther Hubatsch mit erhobener Stimme: 'Er hat den abl. abs. nicht erkannt!'. - Mir hat er, als ich - wegen meines Weggangs nach Berlin - den Termin für eine Fleißprüfung nicht wahrnehmen konnte, diese (in einem Brief nach Berlin) erlassen, 'weil ich gewiss seine Vorlesung sorgfältig nachgearbeitet' hätte. Ob er wusste, dass sein Kollege Heuß mich statt über seine Vorlesung über die von Heimpel geprüft hatte? Mit großem Interesse habe ich seine Autobiographie "Die halbe Violine" gelesen.