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11.12.24

Mehrere Sprachen parallel zu verwenden, führt zu eigentümlichen Schwierigkeiten

Meine Erinnerung sagt: Als ich das erste Mal in England war, konnte ich schlagartig kein Französisch mehr.

Zwischen mehr als zwei Sprachen ständig wechseln zu können und stets gleich fließend zu sprechen, dazu gehört eine Sonderbegabung oder sehr viel Übung.

Von den Sprachen, die ich nie auf der Schule gelernt hatte, konnte ich Spanisch am besten, seit ich Esperanto lerne, fallen mir kaum noch spanische Vokabeln ein. Aber in Latein, dass ich seit gut 50 Jahren überhaupt nicht mehr brauche (und wo ich selbstverständlich keinen sinnvollen Satz hätte spontan formulieren können) mache ich bei duolingo (wenn ich es mal ausprobiere) praktisch keine Fehler. Nur was man früh gelernt hat, ist auch noch nach Nichtgebrauch abrufbar. Aber ist man einmal wieder in eine Sprache eingetaucht, flutscht es wieder. Nach meinem Englandaufenthalt fielen mir aber noch lange manche englischen Fachausdrücke vor den deutschen ein. Und für "on the latch" fällt mir schon wieder kein passender deutscher Ausdruck ein, obwohl ich vor ein paar Tagen erstmalig seit Jahrzehnten einen gehört habe.

In der Familie von Karl Marx wurde ein Kauderwelsch gesprochen, weil sie alle Sprachen verstanden, in der ein Familienmitglied gerade sprach. Es ging nur darum, sich zu verstehen und nicht darum, Sprachen auseinanderzuhalten.

6.12.24

Zeitungslektüre vor dem Aufstehen

 Förster Peter Wohlleben schildert das Altersleiden einer Buche und rekonstruierts ihre Lebenslauf in ihrer Wohngemeinschaft, die seit 4000 Jahren besteht. 

Eva Biringer berichtet in "Un-versehrt" vom stillen Leiden von Frauen, die angeblich Schmerz besser vertragen als Männer, weil sie nicht darüber klagen (sie wollen schließlich nicht als "hysterisch" gelten - das Wort ist von Gebärmutter abgeleitet).

Franzobel berichtet aus China dessen "große Mauer" in Zeiten des Internet nur noch aus ihrer Sprache (?) besteht: "Wie jedes andere Land hat es auch China nicht gern, wenn sich jemand in seine inneren Angelegenheiten einmischt. Da sind wir Westler etwas oberlehrerhaft. Ich habe großartige, freundliche, wunderbare Menschen kennen gelernt. Ich habe viel gestaunt und das Land gemocht, daher meine ich: auch wenn es nicht leicht ist, muss der Westen den Dialog mit China suchen. Wir können von China sehr viel lernen. China, aber auch von uns."  (All diese Berichte finden sich in der FR vom 6.12.24)

Natürlich ist es nicht das "Land", das keine Einmischung will, natürlich nicht "die Regierung", sondern sind es die Regierungsmitglieder, die den größten Einfluss haben, nicht selten Einzelpersonen, die keine Einmischung wollen. Aber wollen wir als Einzelpersonen, das andere darüber bestimmen, was wir zu tun haben?

Wir brauchen Vermittler, die denen eine Stimme geben, die wir nicht wahrnehmen, weil wir damit bequemer ("ruhiger") leben, als wenn wir ständig ("ewig") ihre Klagen hören müssten.

13.11.24

Albrecht Schöne und der internationale Germanistenkongress 1985 in Göttingen

 Ein Zeitungsartikel mit drei parodistischen Interpretationen zu Morgensterngedichten (Die ZEIT13.9.1985) erinnerte mich an den Internationalen Germanistenkongress, der am Ende von Albrechts Schönes  Präsidentschaft (1980-85) der Internationalen Vereinigung für Germanische Sprach- und Literaturwissenschaft  stattfand. Das war Anlass, in Schönes Erinnerungen von 2020 hineinzusehen. 

Der jetzt 99-jährige Germanist ist, erst nachdem meine Schwestern und ich die Universität Göttingen verlassen haben, zu seinem internationalen Ruf als "Repräsentant der Nachkriegsgermanistik" (der zu Schönes Anfängen zumindest in der Bundesrepublik noch Benno von Wiese hatte) aufgestiegen. Die jüngere meiner beiden Schwestern hat ihn noch als höchst jugendlich wirkenden Ordinarius als Bibliotheksaufsicht des Seminars kennengelernt  und beinahe aufgehalten, weil er, ohne einen Studentenausweis vorzuweisen, einfach in die Seminarbibliothek ging. Wir alle drei waren von ihm fasziniert, und weil ich meine Begeisterung über seine Erinnerungen nicht mehr mit meinen Schwestern teilen kann, will ich wenigstens der kleinen Leserschaft dieses Blogs mitteilen, wie sehr mich die Erinnerung an seine hervorragenden Vorlesungen, seine stets sehr präzise, bühnenreife Artikulation und eindrucksvolle Persönlichkeit wieder in Bann gezogen hat. 

Natürlich sind es auch die Erinnerungen an unsere Göttinger Zeit und die kurzen Erwähnungen einiger seiner Kollegen, die ich damals kennengelernt habe. So das einflussreiche Dreigestirn der Historiker Alfred Heuß*, Percy E. Schramm* und Hermann Heimpel* (S. 204-207)

* Dieser höchst selbstbewusste  Hanseat wurde bereits 1958 wie Schöne 1990 in den Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste aufgenommen. Ich erinnere mich, wie er - als er einmal eilig den Vorlesungssaal verlassen wollte und nicht die Geduld hatte, sich durch die Menge der Hinausgehenden hindurch zu schlängeln, über die Tische der Bankreihen hinweg hoch über uns dem Ausgang zueilte. 

Ein andermal sein Bericht, dass man früher, wenn man in Washington war, wie es sein Vater oder Großvater getan hatte, einfach mal zum ersten Stock des Weißen Hauses hinaufgehen und mit dem Präsidenten sprechen konnte. Vergleichbar mit der Raumsituation Konrad Adenauers in Bonn, wo sein Arbeitsraum ähnlich klein und so wenig repräsentativ wie der eines Schuldirektors war. Alles andere als das, was den Krupps nach dem Bau der Villa Hügel in Essen (Einzug am 10.1.1873) zur Verfügung stand.

* Bei seinen anschaulichen, sehr klaren Vorlesungen konnte man am besten mitschreiben. Sie waren auch immer wieder einmal mit witzigen Bemerkungen geschmückt. Etwa über den Konflikt zwischen Rom und Karthago, als sich für Rom die Gelegenheit für einen Kriegsgrund ergab: "Die einen sagten, 'Das ist ein As', die anderen, 'Das ist der schwarze Peter'.

* Er sagte über seien frühen Vorlesungsbeginn um 8:00 Uhr, es sei so ein schönes Gefühl, wenn man danach im Café sitze und sich sagen könne, jetzt sei schon ein wichtiger Teil der Arbeit des Tages getan. Über die Übersetzung der Goldenen Bulle Friedrichs II. durch seinen Kollegen Walther Hubatsch mit erhobener Stimme: 'Er hat den abl. abs. nicht erkannt!'. - Mir hat er, als ich - wegen meines Weggangs nach Berlin - den Termin für eine Fleißprüfung nicht wahrnehmen konnte, diese (in einem Brief nach Berlin) erlassen, 'weil ich gewiss seine Vorlesung  sorgfältig nachgearbeitet' hätte. Ob er wusste, dass sein Kollege Heuß mich statt über seine Vorlesung über die von Heimpel geprüft hatte? Mit großem Interesse habe ich seine Autobiographie "Die halbe Violine" gelesen.

12.11.24

Zeitungsausschnitte aus den frühen 1990ern

Ich habe in meiner Hängeregistratur viele nach Schlagworten geordnete Zeitungsausschnitte aus den Jahren 1979 - 1993 (oder etwas mehr) entdeckt und finde einen Artikel über den US-Bürgerkrieg vom 26.4.1991 "Wiedervereinigung auf amerikanisch" von Stig Förster Untertitel: Die misslungene 'Reconstruction'   nach dem Bürgerkrieg (1865-1877): Der Süden blieb weit hinter dem Norden zurück
Weil man die weißen Plantagenbesitzer zu sehr gewähren ließ, scheiterte der Wiederaufbau.
Das Gegenteil der Perspektive von "Vom Winde verweht". Ich will den Artikel, wie mein Bruder es machte, in  mein Exemplar von "Vom Winde verweht" einlegen und stelle fest: Ich habe das Buch ja nur elektronisch. Also an das Zeitarchiv Ausgabe vom 26.4.1991. Der Artikel ist nicht drin.
Dabei ist der Artikel mit seiner Warnung vor dem Scheitern der Wiedervereinigung und der Warnung vor dem Zerfall der Gesellschaft der Südstaaten erschreckend aktuell. 
"Der Wiederaufbau des Südens nach dem Bürgerkrieg endete also mit einem grandiosen Fehlschlag. Denn es fehlte der weißen Bevölkerungsmehrheit an Reformwillen und dem Norden an der Entschlossenheit zur radikalen Reform. Der Süden verfiel in Stagnation, welche in der Region in weiten Teilen heute noch anhält."
Freilich, die Parallele zur deutschen Situation 1991 - so Förster - sei nur minimal,  "daher vielleicht eher ein Menetekel für die Zukunft Südafrikas".

Natürlich, Geschichte wiederholt sich nicht; aber der Zufall hat mir zusammen mit Heitmeyers Blick auf den Rechtsradikalismus von 1992 einen anderen Blick auf die Entwicklung der AfD ermöglicht. 

Jetzt muss ich sehen, ob ich den so erweiterten Blick irgendwie festhalten kann oder es bleiben lasse.
Für das Zeitungsausschnittesammeln für den Unterricht hat sich mit dem Internet eine Alternative geboten; aber: Doch die Vorstellung "Das Papierarchiv wird durch Computer und Internet ersetzt" ist offenbar eine Illusion. Man kommt um die Auswahl nicht herum. 

8.11.24

Erinnerungen

 Enkel, Kinder und Nichte waren da und es kommen Gespräche über Kindheit und Jugend auf: "Ja, Mama und Papa waren auch mal so klein wie du; da waren Oma und Opa für uns wie für euch Mama und Papa." 

Und dann kommen Kindheits- und Jugenderinnerungen herauf, die eine Generation weiter zurück reichen: Das Lied von der Glocke, Reineke Fuchs und "Die Affen rasen durch den Wald". Einerseits Weimarer Klassik und andererseits ein Mundorgellied. Stilistisch weit auseinander. Doch Reineke Fuchs gehört in die Kinderzeit mit den Illustrationen, wo das Löwenkleinkind auf dem Töpfchen sitzt, die Glocke in die spätere Kinderzeit und in die Schulzeit, wo auch die Mundorgel auftauchte.

Im Alter gönnt man der Volksdichtung und der geordneten Bürgerlichkeit, denen sich die Klassiker zuwandten, wieder ihr Recht neben Iphigenie, Faust und Wallenstein. Und dem jugendlichen Blödsinn wie den rasenden Affen wie "Dunkel war's, der Mond schien helle". (sieh auch Wikipedia)

3.10.24

Zeitungslektüre

 Die Wochenzeitung der Freitag imponiert durch Gesichtspunkte, die in den Mainstreammedien selten auftauchen. Insbesondere ist es die Betrachtung von Vorgängen aus Ostdeutschland oder aus ostdeutscher Sicht. In der Ausgabe vom 26.9. überwiegen unerfreuliche Meldungen. 

Shila Behjat von Arte schreibt auf Seite 12 unter dem Titel "Gegen Patriarchen" über weiblichen Widerstand und zitiert Erica Chenoweth: "Wenn Frauen an Massenbewegungen beteiligt sind, dann  neigen diese Bewegungen dazu, friedlich zu bleiben. Und sie führen mit größerer Wahrscheinlichkeit zu einer gleichberechtigteren Demokratie." So waren Bewegungen erfolgreich, wenn sich mindestens 3,5 % der Bevölkerung beteiligten (Gewaltfreier Widerstand).

Das klingt ermutigend. 

Weiter unten stellt Behjat fest: "In nahezu jedem Land der Welt existieren Gesetze, die in das Leben von Frauen eingreifen, aber keine, die explizit Männerleben regulieren, außer bei der Wehrpflicht."

Dann fährt sie fort: "Das Schlimme ist: Frauen können sich bei diesem Thema nicht der Solidarität anderer Frauen sicher sein."

Ich frage mich: Was ist sicherer, als dass eine Bewegung, die erst noch auf dem Weg ist, 3,5% der Bevölkerung zu aktivieren, nicht "der Solidarität anderer" sicher sein kann? - Das ist in sich nicht schlimm, aber es zeigt, wie schwierig es ist, diese 3,5% zu erreichen. 

Aber so bleibt es dabei, dass Frauen als der größere Teil der Menschheit  nur sehr beschränkt die Solidarität ihrer Geschlechtsgenossinnen genießen. 

Ich lese gegenwärtig "Vom Winde verweht" und bin immer wieder beeindruckt, wie viele Probleme, die wir heute erleben, darin behandelt werden: Spaltung der Gesellschaft, Entfremdung von den Regierenden, Unfähigkeit, die Erfahrungen und damit Weltsicht anderer nachzuvollziehen. Damals war es ein Bürgerkrieg, der um die Einheit einer Staatenvereinigung (USA) geführt wurde. 

Heute sind wir zwar weit darüber hinaus; aber die heutigen Mechanismen haben noch eine große Ähnlichkeit. 

Es war einmal: Jorinde und Joringel

Es war einmal ein altes Schloß mitten in einem großen dicken Wald, darinnen wohnte eine alte Frau ganz allein, das war eine Erzzauberin. Am Tage machte sie sich zur Katze oder zur Nachteule, des Abends aber wurde sie wieder ordentlich wie ein Mensch gestaltet. Sie konnte das Wild und die Vögel herbeilocken, und dann schlachtete sie, kochte und briet es. Wenn jemand auf hundert Schritte dem Schloß nahe kam, so mußte er stillestehen und konnte sich nicht von der Stelle bewegen, bis sie ihn lossprach; wenn aber eine keusche Jungfrau in diesen Kreis kam, so verwandelte sie dieselbe in einen Vogel und sperrte sie dann in einen Korb ein und trug den Korb in eine Kammer des Schlosses. Sie hatte wohl siebentausend solcher Körbe mit so raren Vögeln im Schlosse.

Nun war einmal eine Jungfrau, die hieß Jorinde; sie war schöner als alle andere Mädchen. Die und dann ein gar schöner Jüngling namens Joringel hatten sich zusammen versprochen. Sie waren in den Brauttagen, und sie hatten ihr größtes Vergnügen eins am andern. Damit sie nun einsmalen vertraut zusammen reden könnten, gingen sie in den Wald spazieren. »Hüte dich«, sagte Joringel, »daß du nicht so nahe ans Schloß kommst.« Es war ein schöner Abend, die Sonne schien zwischen den Stämmen der Bäume hell ins dunkle Grün des Waldes, und die Turteltaube sang kläglich auf den alten Maibuchen.

Jorinde weinte zuweilen, setzte sich hin im Sonnenschein und klagte: Joringel klagte auch. Sie waren so bestürzt, als wenn sie hätten sterben sollen; sie sahen sich um, waren irre und wußten nicht, wohin sie nach Hause gehen sollten. Noch halb stand die Sonne über dem Berg, und halb war sie unter. Joringel sah durchs Gebüsch und sah die alte Mauer des Schlosses nah bei sich; er erschrak und wurde todbang. Jorinde sang:

»Mein Vöglein mit dem Ringlein rot
singt Leide, Leide, Leide:
es singt dem Täubelein seinen Tod,
singt Leide, Lei - zicküth, zicküth, zicküth. «

Joringel sah nach Jorinde. Jorinde war in eine Nachtigall verwandelt, die sang zicküth, zicküth. Eine Nachteule mit glühenden Augen flog dreimal um sie herum und schrie dreimal schu, hu, hu, hu. Joringel konnte sich nicht regen.- er stand da wie ein Stein, konnte nicht weinen, nicht reden, nicht Hand noch Fuß regen. Nun war die Sonne unter; die Eule flog in einen Strauch, und gleich darauf kam eine alte krumme Frau aus diesem hervor, gelb und mager: große rote Augen, krumme Nase, die mit der Spitze ans Kinn reichte. Sie murmelte, fing die Nachtigall und trug sie auf der Hand fort. Joringel konnte nichts sagen, nicht von der Stelle kommen; die Nachtigall war fort. Endlich kam das Weib wieder und sagte mit dumpfer Stimme: »Grüß dich, Zachiel, wenn's Möndel ins Körbel scheint, bind lose Zachiel, zu guter Stund.« Da wurde Joringel los. Er fiel vor dem Weib auf die Knie und bat, sie möchte ihm seine Jorinde wiedergeben, aber sie sagte, er sollte sie nie wiederhaben, und ging fort. Er rief, er weinte, er jammerte, aber alles umsonst. »Uu, was soll mir geschehen?« Joringel ging fort und kam endlich in ein fremdes Dorf; da hütete er die Schafe lange Zeit. Oft ging er rund um das Schloß herum, aber nicht zu nahe dabei. Endlich träumte er einmal des Nachts, er fände eine blutrote Blume, in deren Mitte eine schöne große Perle war. Die Blume brach er ab, ging damit zum Schlosse: alles, was er mit der Blume berührte, ward von der Zauberei frei; auch träumte er, er hätte seine Jorinde dadurch wiederbekommen. Des Morgens, als er erwachte, fing er an, durch Berg und Tal zu suchen, ob er eine solche Blume fände; er suchte bis an den neunten Tag, da fand er die blutrote Blume am Morgen früh. In der Mitte war ein großer Tautropfe, so groß wie die schönste Perle. Diese Blume trug er Tag und Nacht bis zum Schloß. Wie er auf hundert Schritt nahe bis zum Schloß kam, da ward er nicht fest, sondern ging fort bis ans Tor. Joringel freute sich hoch, berührte die Pforte mit der Blume, und sie sprang auf. Er ging hinein, durch den Hof, horchte, wo er die vielen Vögel vernähme; endlich hörte er's. Er ging und fand den Saal, darauf war die Zauberin und fütterte die Vögel in den siebentausend Körben. Wie sie den Joringel sah, ward sie bös, sehr bös, schalt, spie Gift und Galle gegen ihn aus, aber sie konnte auf zwei Schritte nicht an ihn kommen. Er kehrte sich nicht an sie und ging, besah die Körbe mit den Vögeln; da waren aber viele hundert Nachtigallen, wie sollte er nun seine Jorinde wiederfinden? indem er so zusah, [merkte er,] daß die Alte heimlich ein Körbchen mit einem Vogel wegnahm und damit nach der Türe ging. Flugs sprang er hinzu, berührte das Körbchen mit der Blume und auch das alte Weib - nun konnte sie nichts mehr zaubern, und Jorinde stand da, hatte ihn um den Hals gefaßt, so schön, wie sie ehemals war. Da machte er auch alle die andern Vögel wieder zu Jungfrauen, und da ging er mit seiner Jorinde nach Hause, und sie lebten lange vergnügt zusammen.

18.9.24

Tagebucheintrag

 Gelbe Säcke herausgestellt.

Auf der Fahrt zum Niederwaldsee riesige rote Sonne kurz über dem Horizont.

Am Niederwaldsee kurz nach dem Sonnenuntergang helle erste Dämmerung, dunkles Wasser, keine Tiere, Kondensstreifen von zwischenzeitlich fünf Flugzeugen am Himmel. Unerwartet auf der Ostseite eine Bank frei. Anscheinend sogar auch sonst keine Bank besetzt. Autobahnrauschen.

Auf dem Rückweg: ein E-Rollerfahrer wartet auf dem Seitenstreifen, ein Trecker, mit seinem Gerät die voller Wegbreite einnehmend, fährt freundlich weit auf den Seitenstreifen, ein Jogger.

Da ich mein Hörgerät herausgenommen habe, Ruhe.

Zu Hause Zeit, das Hochbeet und die Töpfe reichlich zu wässern, gleichzeitig den Schlauch für die Begonie laufen lassen. Ruhe.

8.8.24

Wozu ein Literaturblog gut ist

 Ich liebe den Storm-Kellerschen Briefwechsel und entdecke jetzt in meinem Blog in dem Briefwechsel zwischen Keller und Paul Heyse (nicht zuletzt wegen des Du) einen sehr viel lockereren Ton, wo auch allerlei Literaturspezifisches angeschnitten wird. Hier ein kurzes Zitat:

"Keller an Paul Heyse

Zürich 9 VII 1880.

Lieber Freund! Tausendfältigen Dank für Brief und Weiber von Schondorf. Ich will nun trachten, meine "schonende Freude" (ein ingeniöser Ausdruck!) mit deinem dramatischen Hypochondrismus möglichst zärtlich zu vermählen, ohne der Aufrichtigkeit Eintrag zu thun. Da muß ich denn zuvorderst bekennen, daß Du mit der gewählten Auffassung und Behandlung Recht hast. Der erste flüchtige Eindruck war bei mir, es dürfte ein bischen bunter und breitspuriger sein; allein am gleichen Tag noch, eh' der Brief nachkam, fand ich, dadurch käme man sogleich in's sogenannte Shakespearisiren hinein, im bekannten Stil der bekannten Uebersetzung, und dann würden alle feineren Leute sagen: connu! So aber hast Du ganz das Richtige getroffen, indem Du das Motiv aus sich selbst heraus sich hast entwickeln lassen und nichts dazu gethan, als die höhere ethische Frage. Eine gute Ausstattung und Inscenirung, welche ja auf jeder Seite mitdichtend vorgesehen ist, muß das deutlich herausstellen. Beim Lesen hat mir, beiläufig gesagt, in ein par Interjectionen und proverbialen Wendungen die Manier etwas zu tief gegriffen erscheinen wollen. Da ich aber auf der Bühne | nicht zu Hause bin, so mag diese Bemerkung nichtig sein. [...]"

Wenn man Keller so über Heyse schreiben sieht, könnte einen fast schon die Lust ankommen, auch mal Heyse zu lesen, wenn man nicht doch den Verdacht hätte, dass er zu sehr stilisiert schreibt. Heysenovellen bei Gutenberg.org:

31.5.24

Facebook u.a.

 Heute ein Tagebucheintrag (auf Papier) zu wieder aufgenommener Gewohnheit, abends Musik zu hören. In der FR von Sophie Passmann eine Kolumne, dass von 2010 bis 2015 gefühlt jeder bei Facebook war. Dann Niedergang. Jetzt Erholung bis auf etwa Stand von 2016.

Ich besinne mich an meinen Artikel, in dem ich darüber schrieb, weshalb ich nicht bei Facebook bin, den ich gelegentlich mal verlinkt habe, finde ihn jetzt aber nicht mehr. [Es war der vom 19. Oktober 2011].  Ob er bei Schnipsel war? (Dort 21 Artikel zu F., der letzte 2023, der erste 2012)

 2017 zitiere ich dort einen Eintrag von mir vom 19. Oktober 2011, wo es heißt "Facebook lehne ich ab". Der war auf  Fontanefan, meinem Lehrerblog. Dort der erste von 9 Artikeln 2009 über meine "Freundschaft" mit dem Facebook-Account eines 7-jährigen polnischen Holocaustopfers. Schon da ist klar, dass ich Facebook nicht wirklich nutze, obwohl ich mich wegen meiner afrikanischen Bekannten dort angemeldet hatte (der Kontakt läuft weiterhin über E-Mail). 2011 dort eine scharfe Kritik an Google+ mit dem Satz: "Die Willkür unterscheidet sich kaum noch von Facebook." (2011 lief eine Blogparade über Social Media, an der ich teilgenommen habe.)

Unsere Familie tauscht sich bei Signal aus. WhatsApp lehnen wir wegen Facebook Zuckerberg ab (bei Fontanefan 2018 ein ausführlicher Artikel über seine Befragung), bei WhatsApp ist meine Frau zusätzlich zu Signal wegen einiger Bekannter, die nicht auf Signal sind. 

29.5.24

Gegenwärtige Lektüre

 Während vorher Flora Thompson als Hauptthema und der Heliand nebeneinander liefen, sind es jetzt Christa Wolf "Ein Tag im Jahr" und als Bettlektüre Fürst Pückler-Muskau und die Einrichtung von Parks ("seine Weiterentwicklung des „englischen Gartenstils“ in den Parks von Muskau und Branitz " (Wikipedia). Daneben fast täglich ein wenig duolingo. Seit einiger Zeit Esperanto. Hat Italienisch abgelöst. 

24.5.24

Was ich nicht über Briefmarken wusste

 



 Der Sammler Uwe Schütte berichtete am 23. Mai 2024 in der Freitag sehr viel, was mich emotional berührt, weil ich als Kind und zeitweise noch als Jugendlicher eifriger Sammler war. 

Es folgten Jahrzehnte, wo ich kaum je wieder eins meiner Alben in die Hand nahm. Oft nur, weil ich nicht wusste, ob es ein Buch oder ein Album war und wenn, was ich darin gesammelt hatte. 

Sachdienlich berichtet über Briefmarken die Wikipedia, natürlich auch vieles, was ich nie wusste, insbesondere natürlich wie über Links und bei den Commons.

Es gab Zeiten, wo umfangreiche Briefmarkensammlungen viel wert waren und wo man Marken vom Händler bezog, um die Sammlung zu vervollständigen, weil unvollständige Serien nichts Rechtes galten. Meine Schwester hat noch in Zeiten ihrer Arbeitslosigkeit sich von der Post alle neuen Serien schicken lassen und sie dann an uns verschickt, damit wir sie ihr wieder schickten. Denn wir sammelten nur gestempelte Marken, weil sie ursprünglich schon ihren Wert durch ihre Arbeit abgegolten haben sollten und erst durch die Sammlung an Wert gewinnen.

Dazu Uwe Schütte: "Das Geschäftsmodell Briefmarkenhandel hat sich erledigt, endgültig."

Irgendwie fand ich es immer gegen meine Ehre, für Briefmarken als Sammlerobjekt zu bezahlen. Händler und Briefmarkenkataloge waren daher so etwas wie "sachfremd". Heute berührt es mich nostalgisch, dass nach Jahrzehnten, wo mich Briefmarken allenfalls als noch Briefschmuck interessiert haben, das Sammlerwesen ganz vorbei sein soll. 

25.3.24

Matthias Claudius, Jacobi und Goethe

 Anhand des Exemplars von Claudius' sämtlichen Werken habe ich nachgelesen, dass er im 5. Band seines Asmus omnia sua secum portans 1786 bei einer Kontroverse zwischen Moses Mendelssohn und Friedrich Heinrich Jacobi über Lessings Auffassung von Spinoza recht vernünftig argumentierend Jacobi Recht gibt (S.350-360). Jacobi, der in der Literaturgeschichte als unverständiger Kritiker des Werther und Verfasser des trockenen Woldemar bekannt ist, in der Wikipedia aber als einer der wichtigsten Philosophen seiner Zeit vorgestellt wird.

WikipediaDiese Debatte setzte sich der Sache nach fort in Jacobis zweiter philosophischer Hauptschrift, dem 1787 erschienenen Dialog David Hume über den Glauben oder Idealismus und Realismus. Hierin unternahm Jacobi eine fundamentale Bestimmung von Wirklichkeit, in der er sich, ebenso wie schon in seiner Auseinandersetzung mit Spinoza, in wesentlichen Punkten an der Erfahrung menschlichen Handelns orientierte. Darüber hinaus enthält der David Hume insbesondere in seiner Beilage Über den transzendentalen Idealismus die nicht weniger einflussreiche Kritik Jacobis an Kants Lehre vom „Ding an sich“ als jene doppelt problematische „Voraussetzung“, von der Jacobi in prominenter Formulierung bemerkte, „daß ich ohne jene Voraussetzung in das System nicht hineinkommen, und mit jener Voraussetzung darinn nicht bleiben konnte.“[15] Dies gilt nach Jacobi deshalb, weil ohne die Annahme von „Dingen an sich“ als Grund der sinnlichen Affektion Kants Konzept der Sinnlichkeit und damit die Zwei-Stämme-Lehre der Erkenntnis unverständlich bleibe, diese Annahme zugleich aber den systematischen Rahmen des transzendentalen Idealismus sprengen würde. Diese Diagnose Jacobis ist bis in die neueste Zeit „niemals mit textnahen Gründen zurückgewiesen worden.“16 [Peter Baumanns: Kants Philosophie der Erkenntnis. Durchgehender Kommentar zu den Hauptkapiteln der „Kritik der reinen Vernunft“, Würzburg 1997, 10.] Zugleich formulierte Jacobi mit seinem eigenen sowohl Kants transzendentalem Idealismus als auch einem später in Fichtes Wissenschaftslehre realisierten „spekulativen Egoismus“[17] entgegengesetzten „entschiedene[n]“[18] Realismus eine Position von unverminderter Relevanz. Jacobi ging es um die unmittelbar gegebene Gleichursprünglichkeit der Selbsterfahrung des erkennenden Subjekts sowie der zu erkennenden Gegenstände: „Ich erfahre, daß ich bin, und daß etwas ausser mir ist, in demselben untheilbaren Augenblick“[19], heißt es entsprechend im David Hume.[20]"

Dieser selbe Jacobi wurde offenbar von Goethe als Gesprächspartner ernst genommen und als sein "Freund" bezeichnet wird, obwohl er Goethes Ansichten nicht akzeptierte.

Wikipedia (Goethe#Religionsverständnis): "Zwar beschäftigte Goethe sich intensiv mit Christentum, Judentum und Islam und deren maßgeblichen Texten, doch wandte er sich gegen jede Offenbarungsreligion und gegen die Vorstellung eines persönlichen Schöpfer-Gottes. Der Einzelne müsse das Göttliche in sich selber finden und nicht einer äußeren Offenbarung aufs Wort folgen.[236] Der Offenbarung setzte er die Anschauung entgegen. Navid Kermani spricht von einer „Religiosität der unmittelbaren Anschauung und allmenschlichen Erfahrung“, die „ohne Spekulation und fast ohne Glauben“ auskomme.[237] „Natur hat weder Kern noch Schale / Alles ist sie mit einem Male“, heißt es in Goethes Gedicht Allerdings. Dem Physiker. von 1820, womit er betonte, dass die Natur in der Gestalt zugleich ihr Wesen zeige. Auf Friedrich Heinrich Jacobis Schrift gegen Spinoza hatte er 1785 dem Freund geantwortet, ein göttliches Wesen könne er nur in und aus den Einzeldingen erkennen, Spinoza „beweist nicht das Dasein Gottes, das Dasein ist Gott“.[238] In einem weiteren Schreiben verteidigte er Spinoza mit den Worten: „Ich halte mich fest und fester an die Gottesverehrung des Atheisten […] und überlasse euch alles was ihr Religion heisst“.[239]

In seinen Naturstudien fand Goethe für sich Grundfesten der Wahrheit. Immer wieder bekannte er sich als Pantheist in der philosophischen Tradition Spinozas und als Polytheist in der Tradition der klassischen Antike.[240] Diesbezüglich ist zu beachten, dass Wolfgang Bartuschat aufzeigt, dass die Philosophie Spinozas zwar als Monismus zu verstehen ist, dieser spinozistische Monismus ist aber nicht gleichzusetzen mit einer Sakralisierung der Natur, wie sie Goethe an den Tag legt.[241] Diese Vergöttlichung der Natur bei Goethe zeigt sich konkret darin, dass er in der Erforschung der Natur auch die Ergründung des Göttlichen sieht. Aus diesem Grund ist herauszustellen, dass Goethe eine bestimmte Interpretation Spinozas aufweist. Im Briefwechsel mit Friedrich Heinrich Jacobi tauscht sich Goethe im Jahr 1774 über die Philosophie Spinozas aus.[242] Für Jacobi ist Goethes Naturanschauung ein Determinismus, der den freien Willen des Menschen verstanden als autonome Selbsttätigkeit negieren würde.[243] Nach Jacobi zeigt sich diese autonome Selbsttätigkeit des Menschen in der erfahrbaren Lebenswirklichkeit im Handeln.[244] Ein alleinheitlicher Existenzhorizont führt Jacobi zufolge zu einem deterministischen Menschen- und Weltbild und ist daher anthropologisch zu problematisieren. Für Goethe stellt sich diese anthropologische Problematisierung auf diese Weise nicht, da er je nach Diskussionszusammenhang unterschiedliche Ansichten vertritt.

„Wir sind naturforschend Pantheisten, dichtend Polytheisten, sittlich Monotheisten.“

– Maximen und Reflexionen[245]"
Im weiteren Verlauf habe ich den im Nachwort angesprochenen scherzhaften Bericht von Claudius beim japanischen Shogun [von ihm als Chan und Kaiser bezeichnet] im 3. Teil des Asmus (1778), S.134-149, bei dem das angebliche Japanisch, zu dem auch noch Ausspracheregeln angegeben werden, immer grotesker verkürzt wird und später auch ganz fortfällt.

Im Verlauf meiner Lektüre fällt mir dann auf, dass Claudius mit Jacobi gereist ist, Lessing kannte (aber wohl zu seinen Freunden zählte) und Mendelssohn nicht kannte. Den Fehler, den er Mendelssohn vorwarf, nämlich die Verteidigung seines Freundes Lessing über die Wahrheit zu stellen, hat er vielleicht, so vernünftig Claudius zu argumentieren scheint, selbt begangen.

Für mich vor allem eine bessere Kenntnis von Claudius und Jacobi das Ergebnis. Das Claudius als tiefgläubiger Christ dem Juden Mendelssohn und dem Vertreter der Vernunftreligion bei aller gelebten Aufklärung, zu deren Vertretern außer den Vorgenannten ja auch Jakobi gehört, sollte mich das nicht zu sehr wundern.

3.2.24

Informationssicherheit und mein Gedächtnis sowie Gendern

  In einer Broschüre von Google lerne ich, dass Google mit vielen Institutionen zusammenarbeitet, um Cybersecurity zu verbessern.

Gemerkt habe ich mir, dass Google einen Professor Eckert an der Technischen Universität München mit eine erstaunlich hohen Summe unterstützt. 

Dann lese ich noch einmal nach, um festzustellen, wie hoch die Summe war, und finde:

"Anfang 2023 wurde dort die Partnerschaft mit der TU München erweitert: Mit einer finanziellen Förderung von mehr als 1 Million Euro  durch Google finanziert die Universität ein neues TUM Innovation Network Cybersecurity, in dem unter Leitung von Prof. Eckert akademische Teams aus unterschiedlichen Fachbereichen zu Zukunftsfragen rund um Cybersecurity forschen."

Über die Ungenauigkeit meines Gedächtnisses ist dazu anzumerken: Ich war mir nicht völlig sicher, ob es nicht auch 1 Milliarde gewesen sein könnte, als ich auf die Abkürzung TUM stieß, war ich zunächst unsicher, wofür sie steht und der Professor war für mich durchaus ein Mann. Erst ein Bild nebendran veranlasste mich dazu, die Bilderläuterung Prof. Claudia Eckert zu lesen. 

Ein geschlechtsneutrales Prof. hatte mich also nicht gehindert, mir einen männlichen Prof. zu merken. Ein Grund mehr, weshalb ich so viele Texte ins Netz stelle, um meinem Gedächtnis aufzuhelfen. Das Prof. der Notiz hätte meinem Irrtum freilich nicht abgeholfen. 

15.1.24

Rückblick auf die deutsche Einigung

 Ich habe eben einen Baden Badener Disput von 1999 über 10 Jahre deutsche Einigung gesehen. Diese Sendereihe hatte durchweg ein hohes Niveau, das lag natürlich an den Teilnehmern, von denen ein Teil meist dabei war: z.B. Stürmer, Grosser, Sloterdijk und der hochkarätigen Leitung: Adolf Muschg und dann Gertraud Höhler. Man ließ sich meist ausreden, weil man wissen wollte, was die/der andere zu sagen hatte.

Das war in dieser Sendung nicht so ausgeprägt. Aber aus dem Abstand von gut 24 Jahren fiel mir besonders auf die Sicherheit, mit der die Vertreter des Westens davon ausgingen, dass sich die Unterschiede rasch auswachsen würden. Und das, obwohl schon bekannt war, wie viele aus den jüngeren Generationen abgewandert waren.

Die Zukunft voraussagen kann man nur dann halbwegs sicher, wenn jegliche Veränderung mehr oder minder gewaltsam verhindert wird (freilich, gerade dann treten manche Entwicklungen besonders überraschend auf).

Aber die schweren Probleme, die wir gegenwärtig haben, weil das Problem der Migration in beiden Teilen des Landes so sehr unterschiedlich gesehen und angegangen wird ...

Bodo Ramelow will jetzt versuchen, wieder Vietnamesen ins Land zu holen, um Beispiele dafür zu haben, dass man auch in Thüringen mit Ausändern gut auskommen kann.  Ob das helfen wird? Aber was sonst?