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3.11.23

Gegenwärtige Lektüre

 Ich lese gegenwärtig parallel 5-9 (?) Bücher, teils aus Gertruds Nachlass, teils aus öffentlichen Tauschregalen, ein von P. aus geliehenes und zwei aus dem Nachlass von W., die ich von U. bekommen habe. Über die meisten davon steht etwas in meinem Literaturblog "Weites Feld", teils auch etwas in Fontanesfans Schnipsel und anderen Blogs (Gegen das Vergessen, Wissen und Glauben und Fonty (Politik) ) sind die Blogs, in denen dazu etwas stehen könnte. Ich werde die bei Gelegenheit verlinken. Jetzt zur Lektüre von Mau: Lütten Klein und Christa Wolf: Ein Tag im Jahr, zu denen ich in "Weites Feld" geschrieben habe und schreiben werde. 

An Christa Wolf reizt mich, dass sie ab 1960 bis 2011 jedes Jahr ihren 27.9. zu beschreiben versucht hat, teils am Tag, teils über mehrere Tage bis ca. eine Woche, wobei dann auch einiges aus der Zeit des nachträglichen Schreibens in den Text eingeht. Staunenswert, wie viel Wolf über diese Tage zu erinnern und beschreiben fähig ist, die Grundfähigkeit, die Voraussetzung ihrer Verarbeitung in literarischen Werken ist. Wertvoll für das Verständnis, in welchen Lebenssituationen ihre Werke entstanden sind und wie viel sie anderen Aufgaben für ihre Familie und ihre Freunde sowie ihre politischen Auseinandersetzungen u.a. widmet. Und allgemein wertvoll als Zeugnis für Leben in der DDR und ab 1990 auch in der BRD und relativ kurz in Kalifornien. 

Mau schreibt über Leben in der DDR und die Umbruchzeit bzw. soziologisch über die Transformationen der DDR-Gesellschaft in die der "neuen Bundesländer" in der BRD. (Zum Inhalt sieh Weites Feld) Reizvoll ist erstens, dass er das bietet, was für das Selbstverständnis eines Bürgers der heutigen BRD Deutschland so wichtig ist: die Vorgeschichte des östlichen Teils (wenn auch nur in einer Schilderung der Ausgangssituation vor der Transformation in die Gesellschaft des vereinigten Deutschland. Und das verbunden mit einer Darstellung seiner persönlichen Erfahrungen ab 1968 in einem Plattenbauviertel in Rostock. Das enthält viel von dem, was meiner Meinung nach dem Geschichtsunterricht im vereinigten Deutschland ab 1990 fehlt.

Erst um 1990 herum habe ich begriffen, dass die Zeit ab 1945 nicht nur eine Mischung von Nachkriegsgeschichte und Zeitgeschehen war, sondern mit 1989 in ganz spezifischem Sinne Geschichte geworden war, die nicht in Gemeinschaftskunde bzw. Politik und Wirtschaft (in Hessen), sondern in Geschichte zu behandeln war, also die Geschichte der DDR auch für die Bundesdeutschen und die der BRD auch für die Bewohner des "neuen vereinigten Deutschlands" ist, auch für die Migranten, die erst nach 1990 nach Deutschland kamen und erst nach und nach die Geschichte der Weimarer Republik und der Nazi-Zeit als Vorgeschichte ihrer Gesellschaft zu verstehen haben. - Immer wieder muss ich mir in Erinnerung rufen, dass 1919 bis 1945 nur 26 bis 27 Jahre waren 1990 bis 2023 aber deutlich mehr und ständig zunehmend mehr. Natürlich ist ein Verständnis des Neuen Ökonomischen Systems der DDR nur noch für Spezialisten erforderlich, aber die gesellschaftlichen Auswirkungen sind ja durchaus Vorgeschichte der AfD, die für die deutsche Geschichte eine größere Bedeutung haben wird als die rechtsradikalen Parteien NPDRepublikaner und andere (z.B. DVU).