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28.3.22

Edward Snowden: Permanent Record. Meine Geschichte

 Im Sommer 2013 habe ich im ZUM-Wiki einen Artikel Whistleblower angelegt, der auf einen Artikel Edward Snowden im selben Wiki verlinkt war. Die letzte Veränderung an diesem Artikel nahm ich im März 2017 vor, bevor er im Herbst 2018 auf ZUM Unterrichten, das Nachfolge-Wiki des ZUM-Wikis transferiert wurde. 

Vermutlich hat mein Interesse an der Person Edward Snowden sehr nachgelassen, als von ihm nur noch gelegentlich Botschaften an die Öffentlichkeit gelangten. Immerhin finden sich im September 2016 und September 2020 noch Blogeinträge zu ihm. Die Chance, seinen 2019 erschienenen Lebensbericht zu erwerben und zu lesen, habe ich nicht genutzt. 

Heute erst fiel er mir in die Hände. Ungemein sympathisch, im ersten Kapitel aus der Perspektive des Kindes und weitgehend für Kinder verständlich geschrieben. 

Am Schluss des Vorworts schreibt er:

"Ich achte die Privatsphäre meiner Mitmenschen. Und ich würde nie allein entscheiden, welche Geheimnisse meines Landes der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden sollen und welche nicht. Aus diesem Grunde habe ich die Regierungsdokumente nur Journalisten anvertraut. Tatsächlich habe ich kein einziges Dokument direkt der Öffentlichkeit präsentiert.

Genau wie diese Journalisten glaube ich, dass eine Regierung dazu berechtigt ist, gewisse Informationen zu verschweigen. Selbst die transparenteste Demokratie der Welt darf die Identität ihrer Undercover-Agenten oder Truppenbewegungen im Kriegsfall geheim halten. Solche Geheimnisse werden in diesem Buch nicht offenbart. 

Von meinem Leben zu erzählen und dabei gleichzeitig die Privatsphäre der Menschen, die ich liebe, zu wahren und keine legitimen Staatsgeheimnisse zu enthüllen, ist keine leichte Aufgabe. Aber genau das ist meine Aufgabe. Zwischen diesen beiden Verpflichtungen ist mein Platz." (S.18)

Nach diesen Worten kann man sich denken, dass das, was man von Snowden vor allem erfahren möchte, in diesem Buch nicht vorkommen wird. Doch hoffe ich, dass er für seinen Lebensunterhalt nicht auf die Gnade von Putin angewiesen ist. Aber anzunehmen, dass er ohne den Schutz Putins seines Lebens sicher sein könnte und vor Folter geschützt wäre, wäre blauäugig. So muss er auch darauf Rücksichten nehmen. Keine leichte Aufgabe, wenn  er trotz allem vermeiden will, blanke Unwahrheiten zu publizieren. 

"Dass eine fehlerfreie geschriebene Reihe von Kommandos fehlerfrei immer und immer wieder die gleichen Tätigkeiten auslöste, erschien mir – wie auch so vielen anderen schlauen, technik-affinen Kindern des neuen Jahrtausends – als einzig stabile, rettende Wahrheit unserer Generation." (S. 47)
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So viel Neues ich aus dem Buch erfahre, so habe ich doch den Eindruck, dass ich einzelne Passagen, besonders von denen, die den Umfang der Überwachung betreffen, schon einmal wörtlich gelesen habe.

"Doch es stellte sich heraus, dass der wahre Terror die Angst war, geschürt von einem politischen System, das immer mehr gewillt schien, den Einsatz von Gewalt mit praktisch allen Mitteln zu rechtfertigen." (S.259)
"Nach 9/11 hatte die Intelligence Community die Parole 'Niemals wieder' herausgegeben: eine unerfüllbare Mission. Zehn Jahre später war zumindest mir klar geworden, dass die andauernde Beschwörung des Terrors durch die Politik nicht etwa die Reaktion auf eine spezifische Bedrohung oder Befürchtung war, sondern der zynische Versuch, den Terrorismus in eine allgegenwärtige Gefahr umzumünzen. Und diese Gefahr erforderte ständige Wachsamkeit, die von einer Behörde durchgesetzt wurde, die unantastbar war.

Nach einem Jahrzehnt der Massenüberwachung hatte sich die Technik als starke Waffe erwiesen – jedoch weniger gegen den Terror als vielmehr gegen die Freiheit selbst. Indem Amerika diese Programme, diese Lügen aufrecht erhielt, wurde wenig geschützt, nichts gewonnen und viel verloren – bis die Unterschiede zwischen den beiden Polen, die 9/11 geschaffen hatte, zwischen 'uns' und 'ihnen', immer mehr verschwammen." (S. 260)
"In einem autoritären Staat gehen Rechte vom Staat aus und werden dem Volk gewährt. In einem freien Staat gehen die Rechte vom Volk aus und werden dem Staat gewährt." (S. 262) "Und obwohl die Demokratie dieses Ideal oft nicht erreicht, halte ich sie nach wie vor für diejenige Form der Regierung, die Menschen mit unterschiedlichen Hintergrund am ehesten ermöglicht, als vor dem Gesetze gleiche Bürger zusammenzuleben.
Diese Gleichheit betrifft nicht nur Rechte, sondern auch Freiheiten. Tatsächlich sind viele Rechte, die Bürger in Demokratien am meisten zu schätzen wissen, gar nicht oder nur implizit gesetzlich verankert. Sie erwachsen aus jenem zunächst leeren Raum, der durch die Beschränkung der Regierungsmacht entsteht." (S. 263)
"In der heutigen Zeit gibt es einen Begriff, der diesen gesamten Raum der Möglichkeiten umfasst, auf den der Staat keinen Zugriff hat. Dieser Begriff lautet 'Privatsphäre'. Sie ist ein freier Bereich, der für die Regierung tabu ist, ein Vakuum, in welches das Gesetz nur mit richterlichem Beschluss vordringen darf."  (S. 264)

Wenn man irgendwann geglaubt hat, man könne Dateien löschen, ohne die Hardware zu zerstören, glaubt man es nicht mehr, wenn man bei Snowden gelesen hat, welche Mühe er sich gegeben hat, nicht erwischt zu werden, aber keinen Augenblick, dass löschen vielleicht ähnlich hilfreich sein könnte wie verschlüsseln. 

"In Wahrheit hat das Löschen technisch nie in dieser Form existiert. Das Löschen ist nur ein Trick, ein Hirngespinst, eine öffentliche Fiktion, eine wenig noble Lüge, die uns die Computertechnik erzählt, um uns zu beruhigen und damit wir uns wohlfühlen. Die gelöschte Datei verschwindet zwar aus dem Blickfeld, aber weg ist sie nur in den seltensten Fällen. Technisch betrachtet ist das Löschen eigentlich nur eine Form der zwischengeschalteten Berechtigung, eine Art des Schreibens. Wenn wir bei einer unserer Dateien auf 'Löschen' drücken, werden ihre Daten, die irgendwo tief drinnen auf einer Festplatte gespeichert sind, im Normalfall nicht einmal angerührt. Leistungsfähige moderne Betriebssysteme sind nicht so konstruiert, dass sie nur zum Zweck des Löschens den ganzen Weg bis in die Eingeweide einer Festplatte zurücklegen. Neu geschrieben wird vielmehr nur die Landkarte des Computers mit den Speicherorten der einzelnen Dateien, eine Landkarte, die man Dateizuordnungstabelle nennt. Sie wird überschrieben und besagt nun: 'Ich brauche diesen Platz nicht mehr für etwas Wichtiges.' Die angeblich gelöschte Datei ähnelt also einem übersehenen Buch in einer riesigen Bibliothek: Sie kann immer noch von jedem gelesen werden, der intensiv genug danach sucht. Wenn man nur den Katalogeintrag für das Buch löscht, ist das Buch selbst noch vorhanden." (S. 337/38)
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Als Snowden auf seinem Flug von Hongkong nach Ekuador in Moskau strandete, zeigte ihm ein russischer Vertreter des Geheimdienstes eine große "Medienmeute". 

"Drei oder vier Stockwerke unter uns auf Straßenhöhe hatte sich die größte Medienmeute versammelt, die ich je gesehen hatte. Unmengen von Reportern mit Kameras und Mikrofonen im Anschlag. Es war eine beeindruckende Show, vielleicht vom FSB inszeniert, vielleicht auch nicht, höchstwahrscheinlich irgendetwas dazwischen. Fast alles in Russland ist irgendetwas dazwischen." (S.389)