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20.9.21

Ein kleiner Abendspaziergang durch Youtube

 Gero von Boehm u. Christopher Clark

https://www.youtube.com/watch?v=ersxgu8Mu9Y

Inge Jens Erinnerungen an ihre Herausgebetätigkeit und die Familie Mann

Beginn mit der Edierung der Briefe Th. Manns an Ernst Bertram (1960)

https://www.youtube.com/watch?v=8wpHt4CO3_k 

Inge Jens über ihr Leben

https://www.youtube.com/watch?v=1HQTd5Ef4GA

Inge Jens bei Albert von Schirnding

https://www.youtube.com/watch?v=zOK2C43Ep7g

Frido Mann über seinen Großvater Thomas

https://www.youtube.com/watch?v=DMLYHglWuSo

Frido Mann und seine Frau Christine, geb. Heisenberg

https://www.youtube.com/watch?v=VYlbqgPzvl0

Adolf Muschg: Loslassen ist die Kunst des Lebens

https://www.youtube.com/watch?v=RtF6qsFcmuw

22.8.21

mündliche Überlieferung und Recherche im Internet

 In einem privaten Brief von 1956 findet sich im Bericht über eine Fastnachtsfeier die Passage: "Ihr Vöglein zwitschert Gesang der Wonne, ihr Felsen in freudiger Rührung erwacht… Prinz Karneval kommt mit seiner Pracht"

Im Internet findet sich beim Schwäbischen Albverein folgende Version:

(I) Ihr Vögel, zwitschert Gesang der Wonne!
Ihr Felder und Wälder zum Jebel erwacht!
(II) Verneiget euch! Die Morgensonne,
die Sonne kommt in ihrer Pracht,
(III) die Sonne kommt, die Sonne kommt,
sie kommt in ihrer Pracht.

Hier darf man einen Tippfehler vermuten: Jebel statt Jubel.

Meine Erinnerung überliefert mir folgenden Text (mit Melodie):

"Ihr Vöglein zwitschert Gesang der Wonne,

ihr Wälder vor lauter Rührung erwacht.

Verneige dich, du Morgensonne!

Der Sultan kommt in seiner Pracht.

Der Sultan kommt, der Sultan kommt,

er kommt in seiner Pracht."

Es ist immer wieder interessant, wie mündliche Überlieferung verändert. Meine Erinnerungsversion geht darauf zurück, dass dieser Vers in unserer Familie relativ oft gesungen wurde. "Prinz Karneval" ist offenbar wegen des Anlasses aufgenommen worden, die Felsen wohl um der gesteigerten Unmöglichkeit.

Meine Erinnerung liefert mir dazu auch noch folgenden Text (mit einer ganz anderen Melodie):

"Pflichtschuldigst gähnet ihr Getreuen, 

der große Sultan hat gegähnt."

Dazu liefert das Internet bei Google books von August “von” Kotzebue · 1841: Theater, Band 35, S.284:

[...] Sult. Nun, so gehn wir. (Er gähnt)

Gähnendes Chor

Pflichtschuldigst gähnet, ihr Getreuen!
Doch wird ein Lächeln ihn erfreuen,
So lacht, bis euch das Auge thränt.

Ehrmann (zugleich).

Sie wechseln die gefärbten Brillen,

Sie jauchzen blind ihm Beifall zu,
Orakel sind des Herrschers Grillen,
Oh Welt! c'est tout comme chez nous..
(Der Vorhang fällt.)

So angeregt, ergänzt meine Erinnerung (mit der Stimme meiner großen Schwester gesungen) "Wird ein Lächeln ihn erfreuen, wird ein Lächeln ihn erfreuen, so lacht, bis euch das Auge tränt." (Aber nichts von "gefärbten Brillen")

Da nicht alle Texte in Google books nur zum Teil zugänglich sind, konnte ich herausfinden, dass die Texte, die ich in Erinnerung hatte, alle aus der fantastischen Oper "Die Brillen-Insel" von August Kotzebue stammen. (Google books Band 35, S.243ff.

Dort findet sich vor den hier zitierten auch die folgende:

Ihr Vögel, zwitschert Gesang der Wonne!
Ihr Felsen in freudiger Rührung kracht!
Verneige dich, o Morgensonne!
Der Sultan kommt in seiner Pracht!

Die Melodien, die ich kenne, stammen also aus einer Vertonung dieser Oper.

Während die oben angeführten aus der 8. Szene des 1. Aufzugs stammen, findet sich der folgende in der 7. Szene des 2. Aufzugs, S.275:

"Er ist da! er ist da!

In seiner Gloria!

Die Freude will uns ersticken!

Wir wissen vor Entzücken
Uns gar nicht zu lassen,

Uns gar nicht zu fassen,

Denn er ist da
In seiner Gloria!"

Nun hilft wieder die Erinnerung weiter. Meine Schwestern, von denen ich Texte und Gesang kennenlernte, waren beide in einer Kindermusikgruppe, der Kleinen Singgemeinde Eschwege von Kristine Biechtler. Dort wurde vermutlich ein Teil dieser Oper aufgeführt. Ob in der Originalvertonung oder in einer für Kindergruppen muss vorläufig offen bleiben. 

August von Kotzebue (Wikipedia)

"[...] Kotzebue galt als ein Vater der dramatischen Trivialliteratur, womit ihm zugleich ein Anteil an der Schaffung einer bürgerlichen Öffentlichkeit im Deutschland des 19. Jahrhunderts als Verdienst verblieb. Heute bemüht man sich, die einseitige Negativkanonisierung (Simone Winko 1999) zu überwinden und Kotzebues persönlichem Anteil an den politischen Anliegen der Spätaufklärung gerecht zu werden. Hier sind vor allem die jährlichen „Kotzebue-Gespräche“ zu erwähnen, die abwechselnd in Tallinn (Reval) und in Berlin stattfinden und die seit 2012 von der Akademie der Wissenschaften in Berlin/Brandenburg, von der estländischen Botschaft in Berlin und von der Musik- und Theaterakademie in Tallinn veranstaltet werden. Zwei Tagungsbände sind schon erschienen (Gerlach, Liivrand, Pappel (Hrsg.) 2016, und Košenina, Liivrand, Pappel (Hrsg.) 2017).

Zu Lebzeiten wurden zwei Sammlungen von Kotzebues Dramen veröffentlicht: Schauspiele (5 Bde., 1797); Neue Schauspiele (23 Bde., 1798–1820). Sämtliche dramatische Werke erschienen 1827–29 in 44 Bänden und unter dem Titel Theater 1840–1841 in vierzig Bänden. [...]

Die Zahl seiner Lustspiele und Dramen beläuft sich auf mehr als 220; 87 davon inszenierte Goethe mit insgesamt 600 Vorstellungen. Kotzebues Popularität war beispiellos, nicht bloß in Deutschland, sondern auch auf den Bühnen des europäischen Kulturraums. Neben August Wilhelm Iffland war Kotzebue der produktivste und erfolgreichste Bühnenautor seiner Zeit.[13] Sein Erfolg basierte auf seinem Gespür für populäres Theater in Stoff und Gestaltung. Beispiele dafür sind seine Komödien Der WildfangDie beiden Klingsberg und Die deutschen Kleinstädter, die eindrückliche Genreschilderungen deutschen Lebens enthalten. Berühmte Komponisten der Zeit vertonten seine Texte: Ludwig van Beethoven komponierte die Musik zu Kotzebues Die Ruinen von Athen (op. 113) sowie zu König Stephan (op. 117) anlässlich der Eröffnung des neuen Opernhauses in Pest im Jahre 1812; Antonio Salieri schrieb die Schauspielmusik zur Wiener Aufführung der Hussiten vor Naumburg (1802/03); und auch der junge Franz Schubert vertonte einige Libretti des Dichters, darunter das Singspiel Der Spiegelritter D 11 (1813) und die „natürliche Zauberoper“ Des Teufels Lustschloss D 84 (1813/14). Albert Lortzing schrieb 1843 sein Libretto zur Oper Der Wildschütz nach Kotzebues Lustspiel Der Rehbock oder Die schuldlos Schuldbewußten. [...]"


27.6.21

Traum

 Jemand bringt mir in einem kleinen Glasgefäß (Phiole Faust II, Homunkulus) den intensiven Duft der Tundra. Ich stehe mit ein paar Mitfahrern am Ende einen Autoschlange. Da höre ich den Lärm eines Autounfalls hinter mir. Ein riesiger Laster hat hinter mir sein Gefährt gegen die Felswand gelenkt, offenbar, um zu vermeiden, dass er mich, unser Auto überrollt. Dankbarkeit, Bewunderung. Im Halbschlaf des Aufwachens dann die Frage: Hat er es vielleicht ur aus Imagegründen getan, um seine Verantwortung zu demonstrieren?

Ich hatte - wieder einmal nachts aufgewacht - im Begleitbuch zum Funkkolleg "Mensch und Tier" über Tierversuche gelesen und darüber wie unersetzlich sie - trotz der Möglichkeit, vieles durch Computersimulationen zu ersetzen - in der Grundlagenforschung noch sind, so lange sind, wie man noch so wenig weiß über das Funktionieren eines Gesamtorganismus.(Kapitel 10: Anneke Meyer: Dr. med. Wurm. Tiere in der Medizin: S.102ff.)

11.6.21

Sprachliche Schluderei

 Früher haben mein Sohn und meine Frau mich auf unsensible Sprache aufmerksam gemacht, die mir als normal erschien, weil ich bei meinen Korrekturen als Deutschlehrer nich einen solchen Maßstab hätte anlegen können, weil ich dann nämlich gar nicht mehr vorangekommen wäre.

Jetzt begegnen mir in der ZEIT in einer Nummer so viele sprachliche Schludereien, dass ich das Feuilleton kaum noch weiterlesen mag. So waren mir Politik und Wirtschaft eine Erholung. Das war früher umgekehrt.

4.5.21

Niemand ist vor dem Tode glücklich zu preisen

 Ihr im Lande Thebe Bürger, sehet diesen Ödipus,


Der berühmte Rätsel löste, der vor allen war ein Mann.
Der nicht auf der Bürger Eifer, nicht gesehen auf das Glück,
Wie ins Wetter eines großen Schicksals er gekommen ist,
Darum schauet hin auf jenen, der zuletzt erscheint, den Tag,
Wer da sterblich ist, und preiset glücklich keinen, eh denn er
An des Lebens Ziel gedrungen, Elend nicht erfahren hat.

(Übersetzung Friedrich Hölderlin)


O Bewohner unsrer Thebe, schauet an, der Ödipus,

Der erforscht' so tiefe Rätsel und verehrt vor allen war,

Dessen Los der Bürger niemand ohne Sehnsucht angeschaut,

Nun in welch graunvolles Schicksals Wogen der hinabgeriet!

Drum der Erdenmenschen keinen, harrend weislich immerdar,

Erst den letzten Tag zu schauen, preise ganz beglückt, bevor

Durch das Lebensziel er durchging, ohne daß ihm Leid geschah!

(Übersetzung: K.W.F. Solger)


O ihr Bürger meiner Heimat,

Sehet das ist Ödipus,

Der das schwere Rätsel löste,

Der so stolz und mächtig war,

Dessen Glück wir alle priesen,

Priesen und beneideten!

Seht, wie hat des Unheils Woge

Diesen Mann hinweggespült!

Muss der Mensch nicht ängstlich spähen

Nach dem letzten Lebenstag?

Kann man fortan einen Menschen

Glücklich preisen, der noch nicht

Seine ganze Bahn durchmessen

Ohne Kummer, ohne Leid?

(Übersetzung: Ernst  Buschor, in Beck'sche Verlagsbuchhandlung 1954)


Angesichts der Pandemie haben nach dem Urteil des gegenwärtigen Bundesverfassungsgerichtes die gegenwärtigen Verfassungsorgane kein Recht, das für die Begrenzung des Klimawandels Notwendige nicht zu tun. Denn das würde ja die Freiheit der kommenden Generationen beschneiden und zwar einzig aus dem Grund, weil es zu schwer scheint, das theoretisch Mögliche auch gegen Widerstände durchzusetzen.


Da haben für mich die Schlussworte von Sophokles' Tragödie König Ödipus einen aktuellen Sinn bekommen.

Noch nie in der Geschichte der Menschheit ist so viel in so kurzer Zeit erforscht worden. Noch nie ist das daraus resultierende Wissen so bald und so allgemein Verbreitet worden wie heute. Noch nie ist der durchschnittliche Wohlstand auf der Welt so hoch gewesen wie heute. 

Um die Möglichkeiten, die uns heute zu Gebote stehen, würden uns alle vorherigen Generationen beneiden.

Aber die Aufgabe, vor der wir stehen, könnte nicht zu lösen sein. 

Man wüsste gern ein gutes Ende voraus und darf sich glücklich schätzen, wenn man einen katastrophalen Ausgang nicht für notwendig hält.


Schon in der Antigone schrieb Sophokles:


Vieles Gewaltge lebt, und doch

Nichts gewaltiger denn der Mensch; [...]

Ratgeübt; ratentblößt

Betrifft ihn nimmerdar

Das Künftge. Nur Hades auch

Hat er nicht zu fliehn erlangt;

Doch harter Krankheit schwere Flucht

Ausgesonnen.

Mit listiger Künste Geschick

Auch über Verhoffen begabt, [...]



1.5.21

Keller: Martin Salander

 Nach dem Bekenntnis meines Deutschlehrers, der alles gelesen hatte*, dass er dies Buch als zu langweilig beiseite gelegt habe, glaubte ich mich berechtigt, nicht hineinschauen zu müssen. 

Das hatte gewiss seine Berechtigung. "Kein Mensch muss müssen." Aber nachdem ich heute in  Fontanes Briefen unter dem 10.12.1886 über Martin Salander gelesen habe: "von Heft zu Heft mit größtem künstlerischen Behagen gelesen, er ist einer der Wenigen, die einen nie im Stich lassen, gleichviel welche Wege sie gehn, [...] wie Sterne kann er thun, was er will, weil seine dichterische Persönlichkeit [...] alles siegreich herausreißt" will ich doch wenigstens den Versuch machen. Also:

"Ein noch nicht bejahrter Mann, wohlgekleidet und eine Reisetasche von englischer Lederarbeit umgehängt, ging von einem Bahnhofe der helvetischen Stadt Münsterburg weg, auf neuen Straßen, nicht in die Stadt hinein, sondern sofort in einer bestimmten Richtung nach einem Punkte der Umgegend, gleich einem, der am Orte bekannt und seiner Sache sicher ist. Dennoch mußte er bald anhalten, sich besser umzusehen, da diese Straßenanlagen schon nicht mehr die früheren neuen Straßen waren, die er einst gegangen; und als er jetzt rückwärts schaute, bemerkte er, daß er auch nicht aus dem Bahnhofe herausgekommen, von welchem er vor Jahren abgefahren, vielmehr am alten Ort ein weit größeres Gebäude stand." (Keller: Martin Salander, 1. Kapitel)

*Auch von der Gegenwartsliteratur las er fast alles, auch wenn er später im privaten Gespräch meinte, die Deutschstunde von Siegfried Lenz sei das Lesen nicht wert gewesen, er habe sie nur gelesen, weil er während seiner Dienstzeit als Deutschlehrer alles, was im Gespräch gewesen sei, habe kennen müssen (ein Urteil, das ich so nicht nachvollziehen konnte).

Ich werde mir also den Salander als Abendlektüre vornehmen und sehen, wie weit ich komme.