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19.11.20

Bewertung

 Im Halbschlaf fällt mir ein, dass ich keine Grundlage zur Bewertung meiner Schüler habe. Danach entsinne ich mich, dass ich keine Schüler mehr habe. Drauf, dass ich auf gutefrage.net nach der Qualität meiner Antworten beurteilt werde, und denke, dass das die gesündere Form der Beurteilung ist.

Trotzdem meine ich nicht, dass die Bezahlung für eine Dienstleistung allein von den Kunden abhängig gemacht werden sollte. Wie bestreitet man bei Undankbaren seinen Lebensunterhalt?

Andererseits bin ich der Ansicht, dass mich die Bewertung durch die, deren Fragen ich beantwortet habe, relativ wenig interessiert, weil es mir mehr darum geht, wirklich den Lernerfolg zu fördern.

Aber bei Blogeinträgen und Wikiartikeln interessiert mich die Häufigkeit, mit der sie angeklickt werden, schon. 

24.10.20

Schuld und Dankbarkeit

Recht strebt Gerechtigkeit an, aber kann sie nie erreichen.

Die Kluft zwischen Reichen und Armen ist ungerecht und das in vielen Millionen Fällen. 

Wir können daran arbeiten, sie zu überwinden, in unserer Zivilisation ist es noch nicht gelungen. 

Auch der, dem es gelingt, sich mit dieser Ungerechtigkeit abzufinden, weil er sie sich nicht so deutlich macht, dass sie ihn ständig quält, erlebt aber in seinem begrenzten Lebensbereich, dass er immer wieder hinter dem zurückbleibt, was er als eigentlich geboten ansieht. Das Gefühl, etwas schuldig zu bleiben, in schweren Fällen das Gefühl, Schuld auf sich geladen zu haben, kann man bei einem geschärften Gefühl von Verantwortung nicht vermeiden.

In den gegenwärtigen Krisen, der COVID-19 Pandemie und dem menschengemachten Klimawandel, tritt es bei COVID-19 die Kluft zwischen perfekter Vermeidung von Ansteckung (angesteckt zu werden - und nach einer erfolgten Ansteckung, sie nicht weiterzugeben) ganz individuell auf einen zu. Beim Klimawandel trifft es alle, die in einer Kultur gelebt haben, die mehr Naturkapital verbrauchte, als immer wieder von neuem entsteht (ökologischer Fußabdruck).

Dass man vor Schicksalsschlägen verschont geblieben ist, dass man mehr Liebe erfahren hat, als man verdiente, dass man dank glücklicher Umstände oder dank Unterstützung durch andere mehr erreicht hat, als man billig erwarten durfte, all das ist "ungerecht", weil andere es nicht erfahren haben. Wenn man dafür nicht dankbar sein kann (sondern es als einen recht und billig zukommend ansieht), ist das Schuld.

Schuld ist auch das Selbstsüchtige, was wir nur gewollt, aber dank günstiger Umstände nicht verwirklicht haben. 

Das Christentum fasst diese Schuld mit dem Begriff Sünde (Entfernung von Gott, von dem, wie menschliches Leben eigentlich gemeint ist). Nach Luthers Verständnis wird diese Sünde durch göttliche Gnade beseitigt ("allein durch den Glauben", Rechtfertigungslehre).

Der gnädige Gott ist ist seit der Aufklärung vielen nicht mehr wichtig. Dafür nimmt die Auffassung, dass die Menschheit insgesamt auf einem falschen Wege ist, zu. 

In den letzten Jahren konnte man den Eindruck haben, dass die globale Ungerechtigkeit abgenommen hat, da doch die Zahl von Menschen in absoluter existenzieller Armut abgenommen hat. COVID-19 und die Maßnahmen, die zur Bekämpfung ergriffen wurden, haben aber dazu geführt, dass viele Millionen wieder dahin abgestürzt sind. Der Klimawandel droht, Milliarden dahin zu stoßen. 

"Wir fahren hin durch deinen Zorn, und doch strömt deiner Gnade Born in unsre leeren Hände [...]

Und diese Gaben Herr allein lass Wert und Maß der Tage sein, die wir in Schuld verbringen"

(Klepper: "Der du die Zeit in Händen hast", EG 64)

22.10.20

Twittergespräche

Es treibt mich um, auf welchem Niveau von intelligenten Menschen auf Twitter argumentiert wird. 

@Dejan Freiburg schreibt auf Twitter:
Person behauptet, Mund-Nase-Bedeckungen führen zu Sauerstoffmangel. Verweise auf WDR-Beitrag, der das entkräftet. Sie erklärt, dass es keine Fakten gäbe, die nicht widerlegbar seien und sich jeder seine eigene Wahrheit konstruiere. Alternative Fakten werden in D zu einem Problem.

Ich (@Fontanefan) antworte darauf:

Ich habe einen guten Bekannten, der nur kurze Strecken ohne Sauerstoffzufuhr gehen kann. Der hat noch keine Maske gefunden, die ihm nicht die größten Schwierigkeiten macht. Kann der WDR das auch widerlegen?

Darauf @Dejan Freiburg:

Hier kannst du dir den Beitrag ansehen und selbst ein Bild machen: instagram.com/p/CGfU0DjKL1N/

Die Begleitinformation zum gif-artigen Video lautet:

😷 Atmen mit Maske ist anstrengend, aber nicht gefährlich. Unser kleines Experiment mit einem sogenannten Pulsoxymeter zeigt, dass ein Mund-Nasen-Schutz die Sauerstoffsättigung im Blut nicht sonderlich verändert. Das Pulsoxymeter misst, wie stark Hämoglobin (Protein der roten Blutkörperchen) mit Sauerstoff beladen ist. Der Wert schwankt immer ein bisschen. . 🏥🩸 Pulsoxymetrie ist seit den 70er Jahren sehr verbreitet, um den Zustand von Patienten schnell einzuschätzen. Etwa im Rettungsdienst oder auf der Intensivstation. Die meisten Pulsoxymeter besitzen eine gute Messgenauigkeit (±2 Prozent) im Bereich einer Sättigung von 70–100 Prozent. Trotzdem ersetzt sie nicht die Blutgasanalyse. . ☝️ Übrigens: Es ist falsch, dass sich unter der Maske gesundheitlich bedenkliche Menge CO2 ansammeln, die man dann einatmet. Erstens: Unter der Maske ist kein Platz für große Mengen, weil sie eng anliegt. Zweitens: CO2 kann durch die Maschen der Maske und an den Seiten entweichen. . . .

Dazu der Kommentar von @felixio_9697: 

Hm, das passt irgendwie nicht zu dem, was in den Schreiben der bayrischen Staatsregierung und des Bundestages steht, welches sich an alle Mitglieder des Bundestages richtete. Dort wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich bereits nach 30 Minuten der C02 Gehalt erhöhe und der Sauerstoffgehalt reduziere und deshalb die Maske zwischendurch abgenommen werden müsse. In dem Schreiben der bayerischen Staatsregierung heißt es hierzu, dass aus pathophysiologischer Sicht der CO2 Gehalt bedeutsamer als der Sauerstoffgehalt sei. Insofern wurde in diesem Experiment die falsche Komponente gemessen. Unklar ist zudem, über welchen Zeitraum und mit wie vielen Probanden dieses „wissenschaftliche“ Experiment durchgeführt wurde und ob Störvariablen genügend berücksichtigt wurden. Wenn die Masken nun trotzdem wirklich so unbedenklich sind, warum entzieht sich der Staat dann jeglicher Haftung? 

Ich (@Fontanefan) über das Video zu @Dejan Feiburg:

Diese Darstellung ist ein schlechter Witz. Selbst ich weiß von meinen Krankenhausaufenthalten her, dass sich der Sauerstoffgehalt des Blutes nicht in Sekundenschnelle verändert, wenn die Atmung nicht völlig unterbrochen wird.

und dann:

Völlig ohne Informationsgehalt. - Selbstverständlich kann ich diese Frage nicht wissenschaftlich beurteilen. Das Video ist schlechter als Persilwerbung in den 50er Jahren. Jeder Versuch einer Erläuterung fehlt. Kennst du sachl. Informationen zum Thema?

Dazu: Ich hatte das Video auf Instagram gesehen und konnte von den Kommentaren dazu (aus irgendwelchen technischen Gründen) fast gar nichts lesen.

@Dejan Freiburg:

Das ist ein Insta-Beitrag, der aus Social Media-Gründen ne zeitliche Grenze hat. Es geht hier nicht um Sekunden, da der Teil, bei dem Sie mehrere Masken aufsetzt, beschleunigt wurde. Das ist auch kein Witz, sondern ein wissenschaftsjournal. Beitrags eines öffentl.-rechtl. Senders

Mein Kommentar: Ich war durch das Instagram-Video so empört, dass ich sehr emotional wurde. @Dejan Freiburg verteidigt das Video damit, dass es in einem Wissenschaftsjournal eines öffentlich rechtlichen Senders gesendet wurde.

Kein Wunder, dass man mir nachher unterstellt, ich wüsste nicht, dass Sauerstoffmoleküle durch Stoffmasken hindurch kommen können.* Das ist freilich nicht schlimmer als die Begleitinformation zu dem Video: "Es ist falsch, dass sich unter der Maske gesundheitlich bedenkliche Menge CO2 ansammeln, die man dann einatmet. Erstens: Unter der Maske ist kein Platz für große Mengen, weil sie eng anliegt." 

Schließlich geht es nicht um Mengen von CO2, sondern um den CO2-Gehalt  der eingeatmeten Luft (sieh den obigen Kommentar @felixio_9697 zu der Begleitinformation des Videos) 

* "Das Sauerstoffmolekül hat eine Größe von etwa 0,35 nm. Die Porengröße bei einer FFP1-Maske bewegt sich um 600-900 nm. Als wollten Sie ganz feinen Sand mit einem Gartensieb aufhalten. Ist das sachlich nachvollziehbar?"

Trotz schlechten Erfahrungen [Ich persönlich bin technisch außerstande, alle Twitteräußerungen in ihrem Argumentationszusammenhang nachzuvollziehen.] habe ich mich wieder auf eine Argumentation auf Twitter eingelassen. Ich sollte es bleiben lassen! (23.10.20 6:35)

Etwas irre macht mich bei meinem Entschluss, dass ich im Nachgang zu diesem Austausch von Julia A. einen Hinweis auf eine wissenschaftliche Untersuchung erhielt:

Erstmal: Absolutheit zu fordern empfinde ich vermessen. Ansonsten: Die Wirksamkeit von Masken jeglicher Art wurde weltweit von zuverlässigen Studien belegt. Ein Beispiel: msphere.asm.org/content/5/5/e0 Je höher die Schutzwirkung desto höher auch der Atemwiderstand. Das negiere ich nicht.

Außerdem finde ich in ihrer Timeline einen Bericht über einen schweren Fall von COVID-19 bei einem 68-Jährigen:
https://twitter.com/Anaesthet1/status/1314121375225872384

Twitter hat also weiterhin seine guten und schlechten Seiten. Auf die guten möchte ich nicht verzichten.

14.10.20

Meine Schülerzeit

 Aus einer schulöffentlichen Diskussion:

Der Lateinlehrer: "Macht schafft Recht."

Der Religionslehrer und Direktor sehr energisch: "Macht schafft Unrecht."

Das weitere Gespräch bracht meiner Erinnerung nach: Macht schafft "positives Recht", das für viele ein Unrecht bedeutet, aber sich als neue Wirklichkeit etabliert.

An einem nahe liegenden Beispiel demonstriert: Der Absolutismus mit ständischen Vorrechten und mangelnder Gesetzesbindung des Souveräns war zutiefst ungerecht. Die Französische Revolution proklamierte die Menschenrechte und beseitigte den absoluten Herrscher. Dieser Prozess führte zur Schreckensherrschaft, zu tausendfachem Unrecht. Napoleon nahm in den Code civil rechtliche Regelungen auf, die die Ständeherrschaft weitgehend beseitigten, und verbreitete dieses Recht mit Gewalt in erheblichen Teilen Europas.

Ein ganz aktuelles Beispiel; Im Kampf gegen das Coronavirus werden Menschenrechte zeitweise eingeschränkt, das führt zu Unrecht, das durch das Bundesverfassungsgericht in den Schranken der Verhältnismäßigkeit gehalten wird (oder werden soll - je nach Sichtweise des aktuellen Betrachters). 

Für mich war diese schulöffentliche Diskussion (Ab welcher Klassenstufe des Gymnasiums durften Schüler teilnehmen? Ich weiß nur, dass ich als Schüler zugehört habe, aber nicht, ob Schüler mitdiskutiert haben, halte das aber für nicht unwahrscheinlich.) - diese Diskussion war für mich insofern ein Erlebnis, als die Autoritäten (die Lehrer) sich da gegenseitig in Frage gestellt haben, natürlich in zivilisierter Form. Das war eine Erfahrung von Pluralismus, während in der einzelnen Schulstunde (mehr oder minder?)  immer der Lehrer das letzte Wort hatte. 

Für mich in der Pubertät eine ganz große Autorität war ein Mathematiklehrer, der im Unterricht Diskussionen zu allgemeinen Fragen zuließ, die nicht selten in der Pause noch mit ihm am Lehrertisch weitergeführt wurden und noch länger nachhallten. Meine Geschwister erinnern sich, dass ich in Famliendiskussionen des öfteren sagte "Herr Jung hat gesagt" und diese aus meiner Sicht unbezweifelbare Autorität besserwisserisch meinen größeren Geschwistern entgegengehalten habe. 

Dagegen ist aus meiner Kinderzeit noch in Erinnerung, dass ich mit einem wiederholten "Ich will dir sagen" ums Wort gebeten habe, bis das Gespräch unterbrochen wurde, bis ich meine Äußerung vorgebracht hatte. 

In der Zeit war meine Mutter die nahezu gottgleiche Autorität (mein Vater war im Krieg geblieben), der man nichts verschweigen durfte, auch nicht, was meine Geschwister für sie als Geschenk geplant hatten. 

6.10.20

Aus der glücklichen Zeit vor Hartz IV

 Ein Brief aus dem Jahre 1979, der glücklichen Zeit vor Hartz IV:

An das Zweite Deutsche Fernsehen [...]

Betreff: Bescheinigung über Nebeneinkommen

Bez. Vertrags-Nr.: 09522 vom 22.12.78 [...]

Sie waren so freundlich, mir im Januar dieses Jahres 200 DM als Honorar für den oben angegebenen Vertrag zu überweisen. Da ich nun zur Zeit arbeitslos bin und folglich verpflichtet, dem Arbeitsamt jegliches eigene Einkommen anzugeben, wenn ich nicht fürchterlicher Strafen gewärtig sein will, habe ich den Erhalt dieser 200 DM pflichtschuldig dem Arbeitsamt gemeldet. Damit nicht zufrieden, fordert dieses aber noch eine Bescheinigung über Nebeneinkommen von mir, die auf einem vorgeschriebenen Formular des Arbeitsamtes zu erfolgen hat. Leider hatte ich aber die Vertragskopie, die sie mir freundlicherweise überlassen haben, verlegt und konnte also zunächst dem Verlangen des Arbeitsamtes nicht nachkommen. Als ich sie aber endlich fand, erschreckte mich der Satz "Bitte diesen Vertrag aufbewahren, da wir keine Verdienstbescheinigungen ausstellen" außerordentlich. Da das Arbeitsamt trotzdem auf der Verdienstbescheinigung besteht, fürchtete ich, vielleicht einen falschen Vertrag erwischt zu haben: Was Sie da über verschiedene Vertragsformen und Steuersorten zu den Verträgen angegeben haben, hatte ich nämlich keineswegs verstanden. Und das Formular vom Arbeitsamt war auch nicht gerade sehr verheißungsvoll. Zum Beispiel wollen die Leute da die Nettovergütung erfahren "nach Abzug der Steuern, der Sozialversicherungsbeiträge und der Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit". Davon habe ich natürlich nichts bezahlt und auf dem Vertrag steht so etwas auch nicht drauf. Ob der Vertrag deshalb falsch ist? – Über dieser meiner Ratlosigkeit verging jedenfalls die Zeit.
Nun hat das Arbeitsamt zugeschlagen und mir das Geld entzogen, rückwirkend, wegen Erschwerung der "Ermittlungen über das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen". Allerdings ist es so gnädig, prüfen zu wollen, ob es "die Leistung nachträglich ganz oder teilweise erbringen kann", wenn ich meine "Mitwirkung" nachhole und die Nebenverdienstbescheinigung jetzt einreiche.
Da nun die Aussicht, monatelang ohne jeden Pfennig Geld dazu stehen und keine Miete bezahlen zu können, alles andere als erfreulich ist, bitte ich Sie, möglichst rasch diese ominöse Nebenverdienstbescheinigung auszufüllen und mir zuzuschicken, damit ich das Arbeitsamt zufrieden stellen kann. – Hoffentlich ist der Vertrag doch richtig!
Schade! Eigentlich hatte ich mich ja gefreut, als ich das Geld erhielt. Aber inzwischen ist mir die Freude gründlich vergangen. – Als Arbeitsloser lebt man eben gefährlich!

Man kann sich denken, dass der Brief nicht von mit stammt. Ich war zu diesem Zeitpunkt verbeamtet auf Lebenszeit. Beachtlich scheint er mir, weil die schreibende Person aus Furcht vor der Institution sich nicht traute, dem Arbeitsamt mitzuteilen, weshalb sie die Anforderungen nicht ganz, sondern nur halb erfüllen könne. Dabei handelte es sich um eine Person, die - wie aus ihren Formulierungen hervorgeht - durchaus sprachmächtig war. 

Wie sehr wäre sie an den Anforderungen seit der erfolgreichen Agenda 2010 gescheitert?

Welche Schwierigkeiten hätte sie, rechtswirksam mitzuteilen, dass sie nicht zur Organspende bereit ist?

Wie viel mehr Schwierigkeiten hätte eine Person, die weniger sprachmächtig ist?



9.9.20

Nausitz

 Habe heute im Traum das Wort Nausitz gebraucht. Für einen Fluss.

Man kennt die Lausitz. Doch gibt es einen Fluss? Jetzt google ich und stelle fest, dass es einen Wikipediaartikel zu Nausitz gibt und dass der Ort einmal den Freiherrn von Werthern gehört hat, für die mein Großvater zeitweise Archivarbeit geleistet hat.

In dem Kontext hat er eine Geschichte des Klosters Donndorf geschrieben.

"Am 1. Januar 2019 schlossen sich die Gemeinden Nausitz und Donndorf sowie die die Städte Roßleben und Wiehe zur neuen Stadt und Landgemeinde Roßleben-Wiehe zusammen." (Wikipedia:Nausitz)

5.7.20

Computerkritik

Die Verführung, etwas zu tun, weil es durch Computer möglich geworden ist, ist schließlich groß und nicht erst in der Finanzkrise ab 2007 verhängnisvoll geworden, als mathematisch hochkomplexe Zertifikate das Risiko für Spekulanten minimierten, dafür aber den Schaden für die Allgemeinheit unausweichlich machten.
(formuliert bezogen auf den Text: "Die Geschichte von der Erdnußbutter")

19.4.20

Golo Mann - Erklärung einer Vorliebe in Bruchstücken

Im März 1909 geboren ist er mit 9 Jahren von Wallenstein fasziniert: "das war Liebe auf den ersten Blick. Ich las Schillers Dreißigjährigen Krieg, und sobald ich zu Wallenstein kam, fing ich fast an zu zittern, dann also war ich hingerissen." (G. Gaus: Zur Person 2. Band, S.181)
Golo Mann war von großer intellektueller Redlichkeit. Aus meiner Sicht übertrifft ihn darin nur Günter de Bruyn.
Vor Gero von Böhm über sein Verhältnis zum Vater befragt, sagte er "Es war unvermeidlich, dass ich seinen Tod wünschte." Im Interview mit Gauss gefragt, ob er sich manchmal im Schatten seiner älteren Geschwister gesehen habe, erklärt er: "Im Schatten ein bißchen; daß ich neidisch gewesen wäre, glaube ich nicht, im Schatten ja. Sie waren älter, ein Altersunterschied, der in der frühen Kindheit nicht sehr wesentlich wirkte, aber als ich ein fünfzehnjähriger Schuljunge war, und mein Bruder war ein eleganter junger Schriftstelle, da war natürlich eine tiefe Kluft." (Gaus, S.177) "Aber sie waren beide gerade damals nett und hilfreich zu mir. Das wollte ich noch betonen." (S.178) 
Über seine Auslandserfahrungen - als junger Mann Leherr in Frankreich, Publizist in der Schweiz, in den USA dann Professor für amerikanische (!) Geschichte - sagt er: "[...] was mir nicht an der Wiege gesungen war, da ich im Grunde als provinzieller Mensch gemeint war" (Gaus, S.186 - Hervorhebung Fontanefan)

Vor kurzem habe ich eine Aussage von mir gelesen, wonach ich - wenn ich mich nicht schon zum Fontanefan erklärt hätte - mich auch zum Golo-Mann-Fan geeignet hätte.
Fünf Blogbeiträge habe ich mit Bezug auf Golo Mann geschrieben (hier 2, 3 hier), einen Wikipediaartikel über seinen Wallenstein.
Dabei habe ich seine Deutsche Geschichte von 1919, die ich als Abiturient vom Land Hessen geschenkt bekam, nicht geschätzt. Dass Hitler nur als H. vorkam, empfand ich als manieriert. Dass es nicht trocken geschrieben war, empfand ich nicht als wesentliche Qualität; denn ich kannte noch keine wissenschaftliche Literatur. Die Hitlerbiographie Alan Bullocks hatte ich auf Englisch gelesen und mich nicht gewundert, dass es mir schwer fiel.
Erreicht hat mich Golo Mann über sein Interview mit Gero von Böhm und über den ersten Band seiner Autobiographie in der Taschenbuchausgabe 2003. Vom zweiten Band "Lehrjahre in Frankreich" kenne ich nur die Rezension (ZEIT 13/1999 25.3.) von Klaus Harpprecht. Sie schließt "Er war, alles in allem, die nobelste und menschlichste Figur in der großen Sippe der Manns."

16.4.20

Zur Triage

 "Die meisten Älteren wissen, wie sie sich zu verhalten haben" FR 16.4.20
"[...] Bei Diskussionen um die Lockerungen des Shutdowns kommt regelmäßig auch der Vorschlag, dass die Schwachen und Alten in der Isolation bleiben müssen, während der Rest der Gesellschaft wieder weitgehend den normalen Alltag leben kann. Wie denken Sie darüber?
Ich finde solche Aussagen und die ihnen zugrunde liegende paternalistische Haltung den Älteren gegenüber schrecklich und unwürdig. Jüngere spielen sich symbolisch gesehen als die selbst ernannten Eltern der Alten auf, die ihnen sagen, was sie zu tun und zu lassen haben. Dabei sind ältere Menschen doch diejenige Gruppe in unserem Gemeinwesen mit der größten Lebenserfahrung. Die meisten handeln vernünftig und wissen selbst, wie sie sich zu verhalten haben. Das kann man auch von ihnen erwarten. Trauen wir ihnen doch einfach zu, dass sie wissen, welches Verhalten risikoreich ist. Das muss ihnen niemand dauernd sagen.
Kann die Corona-Krise den Generationenkonflikt verstärken, wie er sich schon in der Klimadebatte angedeutet hat?
Ja – und der Weg kann in sehr gefährliches Terrain führen. In Extremsituationen – die wir jetzt noch nicht haben – kann es schnell dahin kommen, dass lange gegen kurze Leben gegeneinander abgewogen werden, im Stil von: „Der alte Mensch hat doch sein Leben schon gelebt.“ Solche Vereinfachungen kommen selbst, wie ich in meinem eigenen Freundeskreis feststellen musste, bei gebildeten Menschen vor. Aber man kann Leben nicht anhand der Länge bewerten. [...]" (Fragen: Pamela Dörhöfer Antworten: Hans-Werner Wahl)

Ich halte die Argumentation für ungenau. 
1. Angesichts des gegenwärtigen Standes der Forschung zu COVID-19 besteht unter Experten durchaus noch keine Einigkeit darüber, was getan werden sollte, um das Ansteckungsrisiko und damit die Gefahr einer Überlastung des Gesundheitssystems so gering wie möglich zu halten. Dementsprechend weiß ich es als älterer Mensch auch nicht, trotz abgeschlossenen Hochschulstudiums.
2. Ich selbst hatte vor 5 Jahren mit 70 Jahren vor einer lebensrettenden Operation sehr wohl den Eindruck, "mein Leben gelebt" zu haben. Daran halte ich fest, auch wenn ich jetzt einen Sinn darin sehe, z.B. einen Artikel zum Vergleich von Corona-Epidemie und Klimawandel angelegt zu haben und soziale Kontakte zu Menschen, die älter sind als ich (und zu denen ich aufgrund meiner Beziehungsgeschichte mit ihnen besseren Zugang habe als mancher andere), zu pflegen. 
Natürlich entscheidet nicht die Länge des Lebens über seinen Wert, sehr wohl aber spielen die voraussichtliche Dauer und die voraussichtliche Lebensqualität des Restlebens eine wesentliche Rolle für die Entscheidung bei der Triage. Geht es um wenige Tage, qualvolle Monate oder eine durchschnittliche Restlebenszeit von 40 Jahren?
Das soll die Grundüberlegung von Wahl nicht abwerten (Insofern sollte man den vollständigen Text lesen und nicht nur die Passage, die ich kritisiere.). Die Triage aber sollte m.E.  voraussichtliche Restlebenszeit und Lebensqualität  sehr wohl einbeziehen. 

25.3.20

privilegierte Kindheit

Meine Kinder bekamen einen Kindergartenplatz erst im September nach Vollendung ihres 4. Lebensjahres, dafür erhielten sie freilich schon mit 6 Jahren zweisprachigen Unterricht. Sie waren also sehr privilegiert. Keine Rede davon, dass ihnen etwas abgegangen wäre.

Man könnte es freilich auch anders sehen:
http://fontanefansschnipsel.blogspot.com/2020/03/was-braucht-ein-kind.html


13.3.20

Ein Brief aus Kriegszeiten


 5.12.1944
Mein lieber, lieber J!
Dies soll ein Weihnachtsbrief werden. Möge er dich bei guter Gesundheit antreffen. Liebster, mir fehlen die Worte, dir das Liebe zu sagen, was in meinem Herzen dir entgegen eilt über Raum und Zeit hinweg. Wie auch der Weihnachtstag aussehen mag, wir wollen danken für das Schöne, dass wir einmal hatten, für das, was uns geblieben ist, und uns in allem in Gottes Hand geben. Die alten Weihnachtslieder sind etwas fremd in der heutigen Zeit. Wir leben immer auf der Hut, aber die Kinder sind doch in ihrer Welt, vor allem die kleinen. Helmut und Elisabeth sind schon wacher. Aber die alte Welt mit ihrem Schimmer leuchtet doch noch stark in ihre Herzen. Und wenn uns Gott das Leben und die Möglichkeit gibt, dann ist viel, viel Glanz am Weihnachtsfest bei uns. Puppen von Ille, Nähmaschine von dir, Nähkorb, Wiege und Püppchen von Freia, deine alten Bleisoldaten, Bilderbücher und Bücher zum Lesen, Plätzchen, ja sogar noch die Tafel Schokolade und Birnenhutzeln – Änne will für Tannengrün sorgen. Ob Weihnachtsbaum ist sehr fraglich, aber Kerzen sind noch da. Es kann schön werden. Ist aber alles vernichtet, nur das Leben gerettet, dann wollen wir nicht verzagen. Es ist eine harte Zeit, in der wir leben, Gott wird uns alles lehren. Wir wollen hören und schmecken, wie lieblich der Herr ist, im Grauen, in Not. Ich sage, wir wollen es, wie wir im Falle der Not uns benehmen, das wissen wir heute nicht. Aber bereit sein müssen wir, auch das Schwerste zu ertragen. Es ist heute schon immer eine kleine Übung, wenn wir unsere Herzen immer wieder zur Kinderheiterkeit aufsschwingen. Weißt du, als unser Gut ist mir jetzt schon unpersönlich geworden. Ich übe mich in dem Gedanken,es zu verlieren. Und mit umso dankbarerem Herzen erfasse ich jede Schönheit der Form, der Farbe, der Harmonie und Wärme. [...]


7.12.1944
Nun ist der Tag auch vorbei. Vormittagsprogramm mächtig Alarm, da kam Sommers Mädchen und klagte: nun hat Herr ... alles zurecht gemacht, sein Gedicht gemacht und nun ist das Nikolauskostüm an den Kinderhort verliehen! Und eine Maske haben wir auch nicht. Na, ich beruhigte sie, er solle man kommen, es würde schon etwas gefunden werden. Vielleicht hätten Sie eine Sofadecke. Ich suchte nun in den Zeit (unleserlich) Vaters Lodenmantel, einen Flachsbart von Großmutters Spinnrad, eine Stoffbahn zum Umhängen und anderes, was wir nachher nicht brauchten.
Um 3:00 Uhr kam Frau Steinbach zum Klavierspielen, wo Elisabeth gut, Helmut sehr schlecht abschnitt. Dann aber hüpfte ich mit Gerhard auf dem Hof herum, weil er anscheinend Lufthungerkopfschmerzen hatte. Helmut hatte schon immer um [!] den Nikolaus geredet. Er wünscht sich sehnlichst einen. Na, auf einmal erschien Frau Sommer in der Hoftüre. Ihr Vater verzog sich schleunigst wieder in den Hintergrund und ich führte Frau Sommer ins Kinderzimmer, um dann ihren Vater im Esszimmer mit grauer Wolldecke und Zipfeklappmütze und dem übrigen zu einem großen stattlichen Nikolaus umzuwandeln. Das Säckchen mit Äpfeln von Sommers, Nüssen von Freia und Honigkuchen von Deckers trug er in der einen Hand. Stock, Notizbuch und Schere für die Daumenlutscher in der anderen. So stapfte eher nach dem Klingeln in das Kinderzimmer, das traulich hell ihm in den dunklen Flur entgegenleuchtete mit seinem Tannenschmuck, dem an der Lampe hängenden roten Adventskranz und dem Adventskranz am roten Ständer auf dem Tisch. Die Kinder erwartungsvoll dem Kommenden entgegenschauend. Änne saß stopfend am Tisch, Bücher und Spielzeug nicht unordentlich auch dabei, Puppenstube auf der Truhe, Ball von Freia auf dem Fensterbrett. Ein trauliches Familienbild, würdig von Ludwig Richter festgehalten zu werden.

Und nun hielt der Nikolaus seine Rede, holte sich ein Kind nach dem anderen. Frau Sommer im Korbstuhl flüsterte mir ihr Entzücken über die Haltung der einzelnen zu. Ich saß auf der Truhe und hatte Walter auf dem Schoß. Gertrud plapperte gleich los: "Ich habe eine Puppenstube!" Aber der Nikolaus hörte nicht hin, da stahl sie sich zu mir, ohne die Augen von ihm zu wenden. Bald schlich sich Elisabeth auch zu mir, während Helmut ins Verhör genommen wurde. Ihre Erregung zu verbergen flüsterte sie lebhaft mit Walterchen, verstummte aber, als ein Blick des Nikolaus sie verweisend traf. Trödelei, Schmieren und Übertreiben zu lassen, ließ sich der Nikolaus durch Handschlag versprechen. Helmut in tadelloser Haltung. "Entzückend!!" flüsterte Frau Sommer. Nun Elisabeth! Näschenputzen, Freundlichkeit, Gehorchen aufs Wort wurde in halsbrecherischen Versen von ihr verlangt. Gerhard und Gertrud standen dann nebeneinander mit großen Augen vor dem großen Mann. Gertrud in schwarzen Röckchen, roten Blüschen und Herzchenschüzchen, ein Bilderbuch krampfhaft im Arm. Gerhard blass (Erkältungsfieber abends, heute 37,1) und still aber freundlich. Daumenlutschen und Geschrei sollten abgestellt werden, leise klickte die Stickschere. Die nächsten abgelesenen unglaublichen Verse wurden sicher nicht verstanden, was den Eindruck aber sicherlich nicht schmälerte. Elisabeth wurde noch um ihren Weihnachtswunsch gefragt. Und zur großen Verblüffung aller kam: "Stoff!" Nichts als Stoff, 2 u. 3 x. Schließlich erholte sich der Nikolaus von seinem wiederholten fassungslosen Fragen und sagte: "Stoff, lieber Nikolaus heißt das!" "Für die Puppenkleider, die sie nähen will", erklärte ich. Helmut, der nach Befragen erklärte, Reiter werden zu wollen, wünschte sich: "Bis jetzt noch nichts." Aber in einem Brief an mich hatte er sich gewünscht: 1. dass die Matrosenbluse bis Weihnachten fertig würde und 2. die Hose und 3. Klebstoff, "wenn es geht", jedesmal verständnisvoll hinzugesetzt. Also sagte ich "Klebstoff", was aufgeschrieben wurde. Und dann wurde Helmut das Säckchen zum Verteilen gegeben. Als ich dem Nikolaus fortgeholfen hatte, fand ich eine glückliche Kinderschar  an je einem Apfel knabbernd. Helmut aber fragte ganz dumm: "Wie machen wir denn die Nüsse auf?" Bald waren alle geknackt und verzehrt und auch die Honigkuchen. Ach ja, Änne hatte als Einzigste mit dem Stock Schläge bekommen, weil sie so spät käme. Es rührte sie aber in keiner Weise trotz des wunderbaren Verses: "Änne, die ich ganz genau kenne!" Oh, es war einfach überwältigend. Einen schwarzen Zigarillo musste ich doch für diese Anstrengung opfern, obgleich der alte Herr ihn dir nicht rauben wollte. Aber du hättest ihn sicher auch mit Freunden gegeben. Ja, der gute alte Nikolaus war in Nürnberg gewesen, hatte den Vater gesprochen, es ginge ihm gut und er käme bald. Was so ein Himmelsmann doch alles versprechen kann! Nach dem Abendsüppchen – Gertrud hatte sich an Mutters hochgehäuften Bratkartoffelteller gemacht, zeigte sich bei Gerhard 38,8 Fieber. Und ehe Helmut noch im Bett lag, ging die Sirene. Gerade als alles fertig waren, bis auf Gerhard, der schon schlief, Hauptalarm. Vergnügt tappelten sie in den Keller ab. Und als ich nach einer halben Stunde mit dem dick verpackten Gerhard kam, saßen alle in den Federbetten über die Bücher geneigt. Ich legte mich dazu, Walter im Wagen hin und her schiebend, weil er noch nicht schlief. Elisabeth las Geschichten vor und strickte dabei!!! Ohne hinzusehen! Tatsächlich. Auch jetzt sitzt sie, liest und strickt. Und es ist noch keine Woche her, dass sie die erste Masche gestrickt hat! Es ist erstaunlich. Helmut hatte übrigens nach dem Weggang des Nikolaus die für ihn bezeichnende Bemerkung gemacht: "Er hat aber bloß von dem Schlechten und unseren Fehlern geredet. Das Gute hat er nicht aufgeschrieben!" Er wird so gern gelobt. Er braucht die Anerkennung zur Aufmunterung. – Im Keller war es abgesehen von dem furchtbaren Gestank den Fräulein H. verbreitet, recht gemütlich. Herr Breitstadt zog schließlich seine Uhr und sagte: "Helmut, freue dich 5 Min. nach zehn!" Da braucht er er erst eine Stunde später in die Schule. "Aber Ihre Uhr geht doch vor!" Und Huhuuuu ging die Hauptentwarnung, und es war erst 10 Min. vor 10! "Nun muss sich Helmut wieder entfreuen, meinte Frau H. Wie macht er das? "Indem er das Tintenfass umschmeißt, wie heute nach der Klavierstunde!" sagte ich. Aha. – Na, bald schlafen alle. Und Gerhard Tat die zweite Blaudorntablette so gut, dass er heute wieder fröhlich auf dem Sofa liegend spielt. Und das Kinderplaudern bei Tisch war so fröhlich wie immer. "Ich bin ein Häschen", meinte Gertrud. "Du bist doch kein Nagetierchen", sagte ich. "Ich habe doch kein Nagelscherchen im Munde", echote sie lustig! Ach, J., unsere Kinder! Und Walters Pastellfarben, licht, wie auf Elfenbein von Tischbein gemalt mit diesen himmlischen duftigen Blau, Rosa und Mattgold. Liebster, wo wir auch sind, wir haben Schönstes gesehen, empfunden, erlebt, wir müssen alles bezahlen und immer noch stehen wir im Zeichen der Gnade. Deine L.

6.3.20

Beinahe-Namen (Bezeichnung, Bedeutungsumfang, Bedeutungswandel)

In England heißt (oder hieß?) der Staubsauger oft Hoover, in Deutschland hieß der Alleskleber oft Uhu, und wie das Mobiltelephon in Deutschland zu dem Namen Handy kam, lässt sich nicht erfolgreich googeln.
Wieso eigentlich nennt man ein Internetlexikon Wikipedia und eine Enzyklopädie nicht mehr Brockhaus?

Wie Erscheinungen des täglichen Lebens zu ihren Namen kamen und welche Namen nie gebräuchlich wurden bzw. nach kurzem Gebrauch wieder in Vergessenheit gerieten, darüber macht sich Kathrin Passig in ihrer Rubrik in der FR (Frankfurter Rundschau) "Beinahe-Namen" so ihre Gedanken, und ich bin ihr dankbar, dass sie für das Phänomen, über dass ich mir immer wieder einmal Gedanken mache, ohne dass ich es kurz benennen konnte, einen Namen gefunden hat, den ich zum Titel meines Artikels machen konnte.
Übrigens: culotte war einmal der Name für die Kniebundhose (vgl. aber auch engl. breeches und frz. hauts-de-chausettes) der Adligen. Die revolutionären Bürger nannten sich daher sansculottes. Heute ist es der Name für Slips, die auf Englisch briefs heißen und auf Deutsch früher Schlüpfer hießen, auf Französisch ebenfalls slip, während der Brief auf Englisch weiterhin letter heißt, ein briefcase aber auf Deutsch Aktenmappe heißt, weil darin briefs (Aufträge) gesammelt werden. Französisch culotte bedeutet freilich heute Unterhose,
Jetzt sind wir freilich bei anderen Phänomenen gelandet, den faux-amis, die auf Deutsch in Lehnübersetzung falsche Freunde heißen, und dem Bedeutungswandel innerhalb einer Sprache, zwei Phänomene, die einerseits unterschiedlich sind, andererseits aber oft auch zusammenhängen.
Ohne diese Themen erschöpfen zu wollen, erwähne ich noch das deutsche Wort nett, dass französisch mit gentil, aber auch mit propre wiedergegeben wurde, heute aber meist mit sympa. Und französisch collants, was nicht gleichbedeutend ist mit Strumpfhose, sondern mit transparente Feinstrumpfhose, englisch pantyhose. Breeches und tights (diese niederländisch maillot, spanisch mallas, italienisch calzamglia, türkisch tights) erwähne ich nur, um deutlich zu machen, wie gerade bei Unterwäsche (frz. sous-vêtement, engl. undergarment) die Erscheinungen so differenziert sind, dass es kein Wunder ist, dass der jeweilige Begriffsumfang in den verschiedenen Sprachen nicht immer deckungsgleich ist (vgl. auch  dt. Lingerie, engl. lingerie mit frz. lingerie).

Und wieso eigentlich wurde aus dem Eigennamen Caesar ein Herrschaftstitel (Kaiser, Zar) und aus dem Herrschaftstitel augustus der Eigenname für Oktavian?

15.2.20

Träumereien an französischen Kaminen

Träumereien an französischen Kaminen ist eine Märchensammlung des deutschen Chirurgen und Schriftstellers Richard von Volkmann (Pseudonym als Schriftsteller: Richard Leander; heute: Richard von Volkmann-Leander). Die Sammlung besteht aus 22 Kunstmärchen, die der Autor im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 während der Monate der Belagerung von Paris für seine Familie verfasst hat. [...] 
(Wikipedia: Träumereien an französischen Kaminen)

Der Wunschring
Ein junger Bauer, der zwar hart arbeitete, aber wenig mit seinem Hof verdiente, wurde auf dem Feld von einer Hexe angesprochen, er solle zwei Tage geradeaus gehen, bis er an eine Tanne komme, die frei im Wald steht. Diese solle er fällen, dann würde er sein Glück machen. Sogleich nahm der Bauer sein Beil und machte sich auf den Weg. Nach zwei Tagen fand er die Tanne, ging sofort daran, sie zu fällen, und als sie umstürzte, fiel ein Nest mit zwei Eiern heraus. Die Eier zerbrachen, und aus dem einen kam ein junger Adler heraus und aus dem anderen fiel ein kleiner goldener Ring. Der Adler wuchs schnell heran und rief: „Du hast mich erlöst! Nimm zum Dank den Ring, der in dem anderen Ei gewesen ist! Es ist ein Wunschring. Wenn du ihn am Finger umdrehst und dabei einen Wunsch aussprichst, wird er bald in Erfüllung gehen. Aber es ist nur ein einziger Wunsch im Ring, darum überlege dir gut, was du dir wünschst!“  [...]
 „Lass doch dein ewiges Drängen“, erwiderte der Bauer. „Ein Wunsch ist nur in dem Ringe, und wer weiß, was uns noch einmal zustößt, wo wir den Ring brauchen.“ [...]

Die drei Schwestern mit den gläsernen Herzen

Ein Königspaar hatte drei Töchter, und alle drei hatten gläserne Herzen. „Nehmt euch mit euren Herzen in Acht“, sagte die Königin, „sie sind zerbrechlich!“ Und sie taten es auch. Eines Tages jedoch lehnte sich die älteste Schwester zum Fenster hinaus und sah hinab in den Garten. Dabei drückte sie sich ihr Herz: kling! ging es, wie wenn etwas zerspringt, und sie fiel hin und war tot. Wieder nach einiger Zeit trank die zweite Tochter eine Tasse zu heißen Kaffee. Da gab es abermals einen Klang, wie wenn ein Glas springt, nur etwas feiner wie das erste Mal, und auch sie fiel um. Da hob sie ihre Mutter auf, merkte aber zu ihrer Freude, dass sie nicht tot war, sondern dass ihr Herz nur einen Sprung bekommen hatte, jedoch noch hielt. Der König und die Königin waren sehr besorgt, aber die Prinzessin sagte: „Manchmal hält das, was einen Sprung bekommen hat, noch recht lange!“
Als die jüngste Königstochter herangewachsen war, kamen viele Königssöhne, um sie zu freien. Doch der alte König sagte: „Es muss ein König sein, der zugleich Glaser ist und mit so zerbrechlicher Ware umzugehen versteht.“ Ein Edelknabe, der beim König in Ausbildung war, musste nur noch dreimal die Schleppe der jüngsten Königstochter tragen, um richtiger Edelmann zu werden. Als er die Schleppe der Prinzessin trug, gefiel ihm die Prinzessin sehr und auch der Prinzessin gefiel der Edelknabe, so dass sich beide lieb gewannen. Als er nun ein richtiger Edelmann war, dankte ihm der König, gratulierte ihm und sagte, er könne nun gehen. An der Gartentür sprach die Königstochter zu ihm: „Wenn du doch Glaser wärst!“ Darauf antwortete der Edelmann, er wolle sich alle Mühe geben, es zu werden; sie möge nur auf ihn warten. [...] "


13.2.20

Zufallsbekanntschaft

Ich habe ihr in der Bahn zugehört, wie sie mit ihren Kolleginnen über das Leichtathletiktraining sprach, zu dem sie fuhren. Mir fiel auf, wie abhängig sich die Sportlerinnen von ihren männlichen Trainern fühlten. Sie fiel mir auf, weil sie die Vernünftigste und Reifste aus der Gruppe zu sein schien. Vermutlich war sie auch die Schönste, sonst hätte ich mich nicht so lange an dies Gespräch in der Bahn erinnert.
Ob ich je ihren Namen gewusst habe, weiß ich nicht. Ich vermute, dass ich, als sie deutsche Meisterin im 800-m-Lauf wurde, ihr Bild in der Zeitung gesehen und damals geglaubt habe, sie identifizieren zu können.
Seitdem habe ich im Laufe der Jahrzehnte immer wieder einmal etwas über ihre Rolle als Sportfunktionärin und als Kommunalpolitikerin gelesen und mich gefreut, dass sie dabei immer gut weg kam. Jetzt lese ich, dass sie als Rechtsanwältin den Neuanfang der AWO in Frankfurt moderieren wird und dass sie 1982, als die sozialliberale Bundesregierung auseinander brach, in einem Akt der Solidarität der AWO beigetreten sei (offenbar, weil sie die irgendwie mit dieser Koalition - vermutlich primär mit der SPD - assoziierte).

Eine Bekanntschaft war sie nur für mich, weil ich einmal mit ihr im selben Bahnabteil gesessen habe und danach die Gelegenheit hatte, ihren Lebensgang (oder auch nur den der Person, mit der ich sie identifizierte) aus der Ferne mitzuverfolgen.

16.1.20

Die Widerspruchsregelung hat sich nicht durchgesetzt, aber ...

... die Diskussion über die Organspende hat deutlich gemacht, wie wichtig Spendenbereitschaft ist.
Wenn sich nun alle, die sich für die #Widerspruchslösung eingesetzt haben, für die kommenden 20 Jahre als Organspender registrieren lassen, dann wäre das ein Riesenerfolg im Sinne aller, die auf eine Spende warten.

Zum Persönlichen: Ich habe 40 Jahre einen Organspenderausweis bei mir getragen. Jetzt sind meine Organe über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus. Der Zeitpunkt "best before" dürfte vor einigen Jahrzehnten überschritten worden sein. Meine persönliche Entscheidung, nicht mehr zur Organspende zur Verfügung zu stehen, ist insofern vermutlich uninteressant.

Gesellschaftlich ist die Frage, ob jeder, der nicht rechtswirksam erklärt hat, dass er seine Organe nicht freigibt, nach seinem Gehirntod als Organspender zur Verfügung stehen sollte, sehr wohl interessant.
Die Erklärung in einer Patientenverfügung, man wolle nicht am Leben erhalten werden, wenn der Tod ohnehin relativ kurzfristig bevorsteht, gerät in Konflikt mit der Rolle als Organspender. Denn dann muss nach dem Gehirntod eine weitere Versorgung der Organe sichergestellt werden. - Wie man in dieser Situation die Bedeutung meines Willens beurteilt, ist Sache der behandelnden Ärzte. Vielleicht geraten sie dadurch in einen ethischen Konflikt.
Es ist nicht zu erwarten, dass sich ein großer Teil der Bevölkerung so intensiv mit dem Sterbeprozess und mit dem Vorgang einer Organentnahme (insbesondere mit der organprotektiven Intensivtherapie)  befassen wird, dass er  beim Verzicht auf einen Widerspruch gegen eine Organentnahme eine informierte Entscheidung trifft.

Ich selbst war weder bei meiner Entscheidung für die postmortale Organspende noch bei der Entscheidung dagegen annähernd so gut über die verschiedenen Prozesse informiert, jetzt aufgrund der Diskussion über die Widerspruchsregelung.

Was auf meine persönliche Haltung zu der Frage eingewirkt hat:
Ich habe den Sterbeprozess meiner Schwägerin und meines Bruders mitverfolgt.
Meine Schwägerin wurde so lange am Leben erhalten wie irgend möglich und hat lange gelitten. Mein Bruder hatte, als er den Tod vor Augen hatte, ohne größeren Leidensdruck die Möglichkeit sich von allen "Weggefährten", wie er sie nannte, zu verabschieden.
Wenn ich jung wäre, würde ich mich wahrscheinlich wieder für die Organspende entscheiden. Gegenwärtig ist mir wichtiger, dass meine Patientenverfügung ernst genommen und nicht übergangen wird.

Links:
Ausführliches Votum für die Widerspruchslösung, FR 15.1.20
Ausführliches Votum dagegen, FR 15.1.20