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4.8.22

Synonyme und feine Unterschiede

Als ich 1979 in England ein Haus mieten wollte und der Hauseigentümer mich fortwährend willkommen hieß ("You are welcome"), verstand ich nicht, dass er damit dasselbe meinte wie ich, wenn ich, wenn ich "kein Problem" oder "macht nichts" sage.*

Als ich bei meiner Rückkehr mit dem stellvertretenden Direktor meiner Schule sprach, der immer wieder "kein Thema" sagt, war mir klar, dass er damit ausdrückte, dass er bereit war, für meine Anliegen großen Einsatz zu zeigen und weite Wege zu gehen, so wie ich, , wenn ich "kein Problem" sage.

Als ich heute lernte, das französische "de rien" ("keine Ursache") mit "You are welcome" zu übersetzen lernte, merkte ich, dass das abgedeckte Wortfeld der beiden Ausdrücke größer ist, als ich es zunächst wahrgenommen hatte und dass es auch das neuerdings im Deutschen übliche "gerne" und "alles gut" umfasst. 

"You are welcome" war so sehr freundlich. Freilich, wenn jemand ein Glas umwirft, so dass die gesamte Tischdecke nass wird (am besten noch mit Rotwein), wird "You are welcome" und "gerne" doch weniger passen als "de rien", "macht nichts" und "kein Thema". 

Mir fällt dazu die interpretierfähige Aussage der Bischöfin Käsmann ein: "Nichts ist gut in Afghanistan" . Natürlich wollte sie nicht sagen, es gäbe dort nichts Gutes zu essen, sondern deutlich auszusprechen, dass, wer "Deutschland am Hindukusch verteidigen" will, in Kauf nimmt, dass dabei "Kollateralschäden" von vielen Toten auftreten. Und dass der Unterricht für afghanische Mädchen das Leben vieler Menschen kosten könnte, die dort deutsche Journalisten und Ausbilder bei ihrer Arbeit unterstützen, und bei noch viel mehr Menschen Todesangst auslösen würde. Zur Einführung eines Verständnisses für die Gleichberechtigung aller von Menschen gehört mehr als die militärische Beherrschung eines Gebietes und die Einrichtung vieler Mädchenschulen. 

Erst beim Streit über Documenta fifteen wurde deutlich, wie fremd Opfern von Kolonialismus und Postkolonialismus die Vorstellung ist, Juden als Kolonialisten anzusehen, sei angesichts des Holocaust unerlaubt. Und wie fern der deutschen Kultur der Vergangenheitsbewältigung die Vorstellung ist, das Alleinstellungsmerkmal des Holocaust könnte als unerlaubte Sonderstellung weißer Opfer von Völkermord angesehen werden. 

Was aus der einen Sicht humanitäre Intervention zur Verhinderung von Völkermord ist, kann von der anderen Seite als unzulässige Einmischung selbsternannter Richter des "Westens" mit seiner "regelbasierten Werteordnung", die sich als Weltordnung aufplustert, verstanden werden. Warum sollten Bürger der USA nicht vor dem Internationalen Strafgerichtshof zur Verantwortung gezogen werden dürfen?


*Außerdem besinne ich mich, dass ich bei dem Gespräch mit dem englischen Hausbesitzer immer wieder etwas von "cobbet" hörte und erst als ich meiner jüngsten Tochter "cupboard" vorlas, von der wenig älteren aufmerksam gemacht wurde: "Papa, du liest da ja "Kappbord", es heißt doch "cupboard". 

Kluge Frauen

In einem Tweet empörte sich ein(e) Twitter*in darüber, dass über einen offenen Brief von u.a. Alice Schwarzer und Juli Zeh debattiert werde, wo sich doch schon kluge Frauen dazu geäußert hätten:

Es gibt so viele kluge Frauen, die sich hier z.T. seit vielen Jahren sachkundig über die Ukraine äußern, z.B. , , , ; aber Deutschland debattiert über Alice #Schwarzer, als wisse diese Frau, worüber sie da redet.

Alice Schwarzer nachzusagen, sie wisse nicht, worüber sie rede. ist in meinen Augen eine Beschimpfung, wenn nicht Beleidigung.

Juli Zeh hatte die Gelegenheit, in einem Interview mit der Zeit ihre Ansichten dazu etwas näher zu erläutern:

"ZEIT ONLINE: Woher wollen Sie wissen, ob in dem Moment, in dem der Krieg beendet wird, auch das Morden, die Vergewaltigungen und die Deportationen beendet werden? 
 Zeh: Unter Kriegsbedingungen wird all das ganz sicher weitergehen. Deswegen brauchen wir dringend einen Waffenstillstand, eine Ruhepause, die es ermöglicht, in einen Verhandlungsmodus zu gelangen. 
 ZEIT ONLINE: Aber es wird doch schon die ganze Zeit verhandelt, die Ukraine bietet sogar Kompromisse an, etwa eine Neutralität mit Sicherheitsgarantien. Russland geht nur nicht darauf ein. 
 Zeh: Was wir im Moment haben, sind nur dem Namen nach Verhandlungen. Sie dienen dazu, in Kontakt zu bleiben. Zuerst brauchen wir eine Waffenruhe. Das ist der erste Schritt. Es muss Zeit gewonnen werden. Wir wissen aus Erfahrung, dass Friedensprozesse langwierig sind. Wir können nicht auf schnelle Ergebnisse hoffen – und auch nicht auf eins, das uns gefällt. Trotzdem müssen wir an diesem Weg festhalten, weil es der einzig gangbare ist. Auch wenn wir uns wünschen, die Ukraine mit allen Mitteln zu beschützen und Putin restlos zu besiegen, müssen wir uns die Frage stellen, ob das überhaupt möglich ist. Denn wenn man etwas Unmögliches anstrebt und dabei sagt: Das müssen wir erreichen, um jeden Preis!, gerät man in einen Teufelskreis, der rationale Abwägung verhindert. 
 ZEIT ONLINE: Wie könnte denn Ihrer Meinung nach ein Verhandlungskompromiss aussehen, der Putin für seinen verbrecherischen Angriffskrieg nicht belohnt? 
 Zeh: Es kann doch nicht darum gehen, ob Putin auf irgendeine Weise belohnt wird. Es muss darum gehen, Menschenleben zu retten. Es ist auf keine Weise sicher, dass sich der Konflikt mit Waffenlieferungen schneller lösen lässt. Angesichts des enormen Risikos ist es Bürgerpflicht, das zu hinterfragen. (ZEIT online 3.5.22)

Ihre Aussage: "Es ist auf keine Weise sicher, dass sich der Konflikt mit Waffenlieferungen schneller lösen lässt. Angesichts des enormen Risikos ist es Bürgerpflicht, das zu hinterfragen." ist mir zu apodiktisch formuliert. Man kann ein guter Bürger sein, ohne sich über Details militärischer Vorgehensweisen und ihre Effektivität Gedanken zu machen. Aber es als als skandalös hinzustellen, wenn eine solche Frage öffentlich diskutiert wird, geht entschieden zu weit.
Angesichts der gegenwärtigen überhitzten Diskussionen ist es freilich kein besonders schlimmer Fall. (Diese Fälle bekomme ich aufgrund der begrenzten Zahl von Personen, denen ich auf Twitter folge, zum Glück erst mit, wenn sie in anderen Medien besprochen werden.)
Da ich meinerseits auf diesen Tweet nicht so differenziert geantwortet habe, wie ich es für wünschenswert halte, hole ich es hiermit nach, auch wenn meine Artikel in diesem Blog weit weniger Personen erreichen als meine undifferenzierteren Tweets.