Am Tag der deutschen Einheit, 35 Jahre nach der deutschen Einigung, lese ich in dem Roman einer US-Bürgerin mit palästinensischem Migrationshintergrund (Susan Abulhawa), die versucht, ihre Vorgeschichte als Palästinenserin mit der Geschichte des jüdischen Volkes in Einklang zu bringen.
Sie weiß, dass Palästinenser seit vielen Jahrzehnten darunter gelitten haben, dass ihnen ihr Land genommen wurde, weil vor über 100 Jahren ein Jude den Gedanken entwickelt hat, dass sein Volk nach nahezu 2000 Jahren in der Diaspora wieder in seine Heimat zurückkehren könne.
Zwei Völker ohne Land und zwei Völker mit Anspruch auf ihre Heimat. Juden mit Anspruch auf ihre Heimat Israel und Araber mit Anspruch auf ihre Heimat Palästina.
Sie greift den Gedanken auf, der der jüdischen Religion und dem Islam zugrunde liegt, dass Araber (Palästinenser) und Juden (Israelis) Brüder sind. Brüder, weil sie die Nachkommen eines gemeinsamen Vaters sind: Abraham. Ismael* der Sohn der Magd Hagar und Isaak, der Sohn der Herrin Sara.
(Ismael ist der Erstgeborene, Isaak der Sohn der Hauptfrau Abrahams. Der Gedanke wird bei den Söhnen Isaaks Esau und Jakob aufgegriffen (Esau der Erstgeborene und Jakob der, der den Segen Isaaks empfängt)
Und zwar lässt sie zwei palästinensische Zwillingsbrüder Yousef und Ismael getrennt aufwachsen, Yousef in einem palästinensischen Flüchtlingslager und Ismael unter dem Namen David in Israel. (Ismael wurde von dem Israeli Moshe, der für seine unfruchtbare Frau ein Kind suchte, seiner Mutter während der Verwirrung einer Flucht weggenommen, erfährt aber die volle Liebe seiner israelischen Mutter, die ihn als Gottesgeschenk annimmt.) Nur an seiner Narbe, die vor der Trennung von seinem Zwillingsbruder entstanden ist, wird David später erfahren, dass er von der Herkunft kein Israeli, sondern Palästinenser ist.
So gelingt es Abulhawa, den Israeli, der - im Kampf um seine Heimat - Palästinenser unterdrückt, zum Palästinenser zu machen, der im Unterschied zu seinem Zwillingsbruder Bürger Israels mit allen Rechten wird.) Im Kampf für seine Heimat wird dieser David/Ismael also unschuldig schuldig, insofern er seinem Zwillingsbruder Yousef dessen Recht auf seine Heimat Palästina bestreitet. (Die Gemeinsamkeiten der Urväter Ismael (Araber) und Isaak (Juden) wird hier genau herausgearbeitet.)
*Dass Ismael, nach dem Koran der Stammvater der Araber, ausgerechnet der Name des Palästinensers ist, der als Israeli aufwächst und den Namen David erhält, gehört zu den vielen Anspielungen und Konnotationen, die in Abulhawas Roman so eine große Rolle spielen.
Aktuell wird Abulhawas Roman von 2006 in der gegenwärtigen Situation, wo die Vertreibung oder Vernichtung der Palästinenser auf dem Gazastreifen droht und durch Trumps 20-Punkte-Programm vermieden werden soll, an dem freilich kein Palästinenser mitwirken durfte und über dessen Schicksal die Hamas zu entscheiden hat, die - zumindest dem Anschein nach - die Palästinenser auf dem Gazastreifen eher unterdrückt als regiert hat.
Die Tatsache, dass ich am Tag der deutschen Einigung schreibe, weist auf Gemeinsamkeiten (und ganz wesentliche Unterschiede) zwischen der Situation im vereinigten Deutschland und in Israel/Palästina hin.
So wie in Israel arabische und jüdische Israelis zusammen wohnen, so leben im heutigen Deutschland Ost- und Westdeutsche zusammen. Araber und Ostdeutsche empfinden sich in mancher Weise als Bürger mit ungleichen Rechten: DDR-Bürger haben darunter gelitten, dass die sowjetische Zone und spätere DDR mehr Reparationen zu leisten hatte als die westdeutschen Zonen und spätere BRD. Zusätzlich erhielt die BRD großzügige Hilfen durch den Marshallplan und zu allem Überfluss konnten Westdeutsche nach der Einigung Anspruch auf ihren (in DDR-Zeiten enteigneten Grundbesitz) geltend machen und Westdeutsche in vielen Fällen Führungspositionen in den neuen Bundesländern übernehmen (zwei Ministerpräsidenten - Sachsen und Thüringen) und zu allem Überfluss westdeutsche Unternehmen nicht selten ostdeutsche zu einem Spottpreis (1 DM) übernehmen, weil denen ihr Absatzmarkt genommen war und sie somit abgewickelt wurden. Was vom Geschäftsmodell realistisch erschien, erwies sich aber nicht selten als große Ungerechtigkeit, weil die westdeutschen Unternehmen praktisch kostenlos Grundbesitz erwarben, der mit dem wirtschaftlichen Aufschwung Gesamtdeutschlands eine erhebliche Wertsteigerung erfuhr. Die gewaltigen Unterschiede zwischen Deutschen und Palästinensern und Israelis sind mit dem Wort Holocaust angedeutet, können aber hier nicht erläutert werden.
Aber dass arabische Israelis und Palästinenser bei den Entscheidungen über ihr Schicksal (20-Punkte-Programm) kaum ein Wort mitzureden haben, haben sie gemeinsam mit den Ostdeutschen, deren Vertreter (gewaltlose Revolution) bei den Verhandlungen über die Einigung (2+4 Vertrag) und Einigungsvertrag 1990 nicht ganz gleichberechtigt mitwirken konnten.
Dieser Blog ist an sich im Unterschied zu meinen anderen meinem ganz persönlichen Leben und Empfinden gewidmet; aber in der gegenwärtigen Situation spielt dabei die Vorgeschichte der gegenwärtigen Probleme im Nahen Osten und für die deutsche Demokratie eine ganz wesentliche Rolle.