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28.2.23

Singen mit Emma

 Zwar habe ich auch schon in der Grundschule im Chor gesungen, mich aber vor den Aufführungen in unvertrauter Umgebung immer gedrückt. Der Musiklehrer, der auch mein Turnlehrer war, war mir eine ungeliebte Autorität.

Das wurde ganz anders in meiner Teenagerzeit in der Kreuzkirche im Jugendchor, wo manchmal vielleicht sogar meine beiden Schwestern mitsangen, vor allem aber die jüngere der beiden, mir dem Jüngsten am nächsten stehend.

Im Bass sang mein Freund Rups, der aus Berlin in meine Klasse gekommen war, im Tenor Volker, der spätere Chemieprofessor. Der Mittelpunkt aber war Emma, die Chorleiterin und Organistin, die uns zusammenhielt. Wenn sie zum Ausgang des Gottesdienst ihren Reger spielte, war es Ehrensache, dabei zu bleiben, auch wenn mir Reger bis heute wegen des Schwierigkeitsgrades seiner Kompositionen weitgehend verschlossen geblieben ist, seine großen Orgelwerke, die Freude meiner Frau, wegen der Länge sogar ein Graus.

Emma hat mich in Begleitung der erwähnten Jungen, meiner Schwester und ein oder zwei Mädchen in die klassische Musik eingeführt. Andachtsvoll hörten wir Beethovens Violinkonzert von Menuhin gespielt, verschiedene Sinfonien von Beethoven (oder war es in diesem Kreis doch nur die 5.), vermutlich auch sein Es-Dur-Klavierkonzert. Und ebenfalls von Menuhin gespielt, Felix Mendelssohns Violinkonzert. Bruchs vermutlich auch.

Volker führte uns in unserer Wohnung in der Reichensächser Straße mit Musikbeispielen in den Aufbau der 5. Sinfonie ein. Da mag wohl auch meine Kusine dabei gestanden haben.

Außerdem haben wir auch mit verschiedenen Instrumenten musiziert. Ich habe dabei vermutlich auf dem Kamm geblasen. Und eines späten Abends haben wir am Stadtrand gemeinsam Sternschnuppen angesehen. Ich kann mich nicht besinnen, jemals wieder so viele bei einer Gelegenheit gesehen zu haben. 

Das Singen im Gottesdienst war nicht anspruchslos, ich besinne mich, dass ich bei einer späteren Chorleiterin anfragte, wann wir endlich mal wieder Bachchoräle sängen. (Sie meinte, das sei für den Kirchenchor - nicht mehr der Jugendchor von damals - zu schwer.)

Und als eine aus der DDR geflohene Generalmusikdirektorin mit uns Stücke aufführte (das größte Werk war Bachs Johannespassion), sang ich sogar den Zweiunddreißigstellauf in der Motette "Der Herr ist mit mir, mir zu helfen" (Ps.118, 7) mit, wie ihn mein Freund rhythmisch korrekt, freilich nicht mit perfekter Gesangstechnik sang. Einen Lauf, den eine spätere Chorleiterin meiner Schwester, die in anspruchsvolleren Chören sang als ich, als unsingbar bezeichnete.

Doch das Beste war es, mit Emma unterwegs zu sein, beim Adventssingen, wenn mein Freund Sopran sang, auf Abendmusiken mit dem Klavierspieler an der Orgel, dessen Spiel ein wenig abgehackt klingen konnte, und dem mir ans Herz gewachsenen Bachsatz von "Der Tag ist hin", dessen Bassstimme ich über die Jahrzehnte hin so zersungen habe, dass mein Sohn mir Staunendem klarmachen musste, dass sie kaum noch eine Ähnlichkeit mit dem Original hatte. Der Gipfel der Ungezügeltheit war freilich, als Volker, der Größte von uns, zusammen mit der Kleinsten eine Mülltonne um über 10 Meter verschleppte und dort abstellte.

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